Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Exkurs - Pogrome im "Ostland"

Bildet Euch eine eigene Meinung, hinterfragt Informationen kritisch, toleriert aber auch fremde Meinungen. Nur so könnt Ihr Freiheit und Demokratie schützen! (Solly Ganor, Überlebender des Holocaust)

Die Pogrome und Ghettos im Baltikum als Zeichen absoluter Unmenschlichkeit

Nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, begann im August 1941 der Vernichtungsfeldzug gegen die europäischen Juden. Waren bis zu diesem Zeitpunkt „Lösungen“ im nationalsozialistischen Sinne noch nebulös, begann im Spätsommer 1941 die monströse Umsetzung des Holocaust um sich zu greifen. Von den insgesamt fünf bis sechs Millionen jüdischen Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft fand etwa die Hälfte den Tod nahe ihrer Wohn- und Lebensorte im Osteuropa. Andere jüdische Bevölkerungsteile im deutschen Herrschaftsgebiet wurden zwischen 1941 und 1945 durch Deportation zu den Vernichtungsstätten und -lagern im Osten transportiert. Nur wenigen dieser Deportierten blieb eine Überlebensfrist in Zwangsarbeit, die meisten wurden bei Ankunft erschossen oder in den Vernichtungslagern umgebracht.[1a] Es war ein Morden mit höchster Brutalität und Unmenschlichkeit. Belzec, Sobibor, Treblinka und andere Orte des Grauens in Polen, in Litauen, in Lettland und der damaligen Sowjetunion stehen in der Geschichte für beispiellose Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

„Es mußte der schwere Entschluß gefaßt werden, dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen. Für die Organisation, die den Auftrag durchführen mußte, war es der Schwerste, den wir bisher hatten. Er ist durchgeführt worden, ohne daß – wie ich glaube sagen zu können – unsere Männer und unsere Führer einen Schaden an Geist und Seele erlitten hätten.“

(Heinrich Himmler am 6. Oktober 1943)

Das litauische Kowno (Kauen/Kaunas) war eine der größten Städte des Baltikums. In der Stadt lebten etwa 40.000 Juden, ca. 25% der Gesamtbevölkerung. Im Juni 1941 war Litauen schon vor der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht, Ort grausamer Verbrechen gegen die jüdische Minderheit gewesen. In Kowno wüteten vor den Deutschen die Mordtrupps der litauischen Aktivistenfront, die jüdische Mitbürger der Kollaboration mit den früheren sowjetischen Besatzern bezichtigten.

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurden im Rücken der Front zunächst vier Einsatzgruppen gebildet und entsprechend der Bezeichnung der Heeresgruppen, in deren Gebiet sie eingesetzt wurden, mit den Buchstaben A bis D (von Nord nach Süd laufend) benannt.

Jede der Einsatzgruppen bestand aus mehreren Teilkommandos, die als Sonderkommandos (SK) bzw. Einsatzkommandos (EK) mit einer durchlaufenden Nummer versehen wurden. Von den Führern der 18 Einsatzkommandos stammten alleine 7 aus dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Dabei sollten die Sonderkommandos im Armeeoperationsraum und die Einsatzkommandos im rückwärtigen Armeegebiet eingesetzt werden. Diese Aufteilung wurde in der Praxis mehr und mehr aufgegeben. Die Einsatzgruppen waren trotz ihrer horrenden Tötungsziffern im Grunde relativ kleine Einheiten. Eine Einsatzgruppe entsprach etwas einem Bataillon, die Sonder- bzw. Einsatzkommandos hatten etwa Kompaniestärke. Insgesamt dürfte die gesamte Stärke der Einsatzgruppen bei ca. 3.000 Mann gelegen haben. Die Rekrutierung erfolgte meist bei den Angehörigen der Gestapo, des SD, der Kriminalpolizei und der Waffen-SS.

Am 25. Juni rückte ein Vorkommando der Einsatzgruppe A unter Dr. Walter Stahlecker in Kowno ein. Die Einsatzgruppen folgten den regulären Wehrmachtseinheiten und hatten in den besetzten Gebieten nur eine Aufgabe: So viele Juden zu töten, wie nur irgend möglich. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 1941 ermordeten von Stahlecker ermunterte litauische Partisanen 1.500 Juden, mehrere Synagogen wurden niedergebrannt. In der darauffolgenden Nacht wurden 2.300 Juden in Kowno ermordet. In den Aufzeichnungen der ursprünglich in Jena geborenen Helene Holzman, die 1941 in Kowno lebte heißt es dazu: „Dem deutschen Heer war der schreckliche Geier, der Judenhaß, mit schwarzen Schwarzen Schwingen vorangeflogen. Schon bevor die deutschen Soldaten einrückten, hatten die Partisanen ihre antisemitschen Befehle bekommen.“[1b] Als das SK 1b der Einsatzgruppe A unter der Führung Erich Ehrlingers Kowno erreichte, war der Höhepunkt des einheimischen Pogroms erreicht, das Morden aber keineswegs beendet. Am 8. Juli wurde den Vertretern der jüdischen Bevölkerung mitgeteilt, dass alle Juden bis zum 15. August 1941 „zum Schutz vor litauischen Partisanen“ in ein Ghetto umzuziehen hatten. Der Stadtteil Vilijampole (jiddisch Slabotka), jenseits des Flüßchens Vilija, die arme Vorstadt mit seinen kleinen Holzhäusern wurde als Ghetto bestimmt. Hatten dort vorher etwa 4.000 bis 5.000 Juden in relativ primitiven Verhältnissen – es gab z.B. keine Kanalisation – gelebt, mußten nun etwa 35.000 Menschen auf dem engen Raum leben. Die meisten Menschen stammten aus Kowno und den umliegenden Regionen. Frauen und Kinder fanden sich in der Überzahl, weil man viele Männer bereits ermordet hatte. Die Mordplätze und Erschiessungsstätten bis 1944 waren die beiden ehemaligen zaritischen Forts VII und IX. Helene Holzman: „Das Stadtbild stand die folgenden Wochen unter dem Zeichen der Umzugswagen, die die Straßen füllten. Sie fuhren hochbepackt mit dem nötigsten Hausrat, mit Brennholz und oft mit der ganzen Familie. Man sah Kranke, Mütter mit Säuglingen zwischen ihr Habe gepfercht. Die Gesunden gingen zu Fuß daneben. Das Wetter war herrlich. Seit dem deutschen Einzug ein sonniger Tag nach dem anderen. Es war wie ein Hohn auf das Leid, das die Sonne beschien.“[2]

Nach den Mordaktionen vom Herbst, hatte sich die Zahl der Einwohner des Ghettos bis Ende Oktober 1941 bereits auf 17.000 halbiert.[3] Doch bereits wenige Tage nach den Mordaktion an den einheimischen Juden, wurden im Fort IX von Kowno auch die ersten aus dem deutschen Reichsgebiet deportierten deutschen Juden ermordet. Die Züge mit den Reichsbahnnummern Da26 bis Da30 wurden nach Kowno geleitet. Mitglieder des damaligen Begleitkommandos der Ordnungspolizei sagten nach Kriegsende aus, das das veränderte Fahrtzeil Kowno erst auf dem Bahnhof in München bekannt gegeben wurde. Die Menschen stammten aus Berlin (17. November)[a], München (20. November)[b] und Frankfurt/Main (25. November)[c]. Neben den drei Zügen aus dem Reich wurden noch ein Zug aus Wien und ein Zug aus Breslau nach Kowno geleitet.[d]

 

[a] Dies war der sechste Deportationszug aus Berlin mit 1.006 Menschen

[b] Dies war der erste Deportationszug aus München mit 999 Menschen. Abfahrt war das Auffang-, Kontroll- und Durchgangslager in Milbertshofen in der Knorrstraße 148. Es handelte sich um das Sammellager für den Gau München-Oberbayern. Insgesamt sind über dieses Lager 4.000 Juden aus Oberbayern und München deportiert worden

[c] Deportiert wurden 988 Menschen

[d] Gottwaldt/Schulle; Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich (1941 – 1945); Seite 103 ff.

Das Ghetto in Kaunas/Kowno

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Die Sozialarbeiterin in der jüdischen Gemeinde München/Berg am Laim, Else Behrend-Rosenfeld schrieb zu den Deportationen im Reich am 16. November 1941 in ihr Tagebuch: „Nun sitze ich schon eine ganze Weile an meinem Schreibtisch vor meinem Tagebuch, tief erschüttert von den Erlebnissen der letzten 10 Tage, und ringe darum, sie in Worte zu fassen. Aber manchmal ist die Sprache zu arm. (…) Am 7. November wurden vom Büro der jüdischen Gemeinde telephonisch der Hauptlehrer, Heilbronner und ich zu einer Besprechung über Heimangelegenheiten für den Nachmittag des 8. November in das Büro der jüdischen Gemeinde in der Lindwurmstrasse bestellt. (…) Direktor Stahl erklärte uns kurz und sehr ernst – ich fühle noch jetzt mein tiefes Entsetzen – daß tatsächlich etwa tausend jüdische Menschen aus München Mitte kommender Woche deportiert werden sollten. (…) Wir saßen zunächst alle wie gelähmt, die Gesichter waren blaß geworden, wieder sah ich auf einen Ausdruck steineren Entsetzens, der mir in den Novembertagen des Jahres 1938 zum ersten Mal bei unseren Menschen aufgefallen war. (…) Schon am Mittag des kommenden Tages, einem Samstag, kam ein Bote von der Gemeinde mit dem Deportationsbefehl für jeden einzelnen. Wir, das heißt die Heimleitung, saßen zusammen im Büro, hatten die Tür verschlossen und sahen die Liste durch. (…) Rasch lasen wir die für uns bestimmten Anordnungen durch. Dienstag und Mittwoch sollten die Menschen aus dem Heim in das Sammellager nach Milbertshofen gebracht werden.“[4]

Interview mit Solly Ganor, Überlebender des KZ Kowno

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Wie eng die Verstrickung der Täter im Osten in die Heimatgeschichte reicht zeigt zeigen z.B. die beiden Oberhausener Täter Lucian Wysocki und Robert Esser. In der Vorbereitungsphase des Feldzuges gegen die Sowjetunion hatte Himmler bereits Höhere SS- und Polizeiführer (HSSPF) zu seinen Handlangern auf dem Gebiet der Sowjetunion erklärt. Sie stellten den verlängerten Arm des Reichsführers-SS dar. Der für das Baltikum zuständige HSSPF war SS Obergruppenführer und General der Waffen SS Hans Prützmann. Im Oktober 1941 übernahm diese Position Friedrich Jeckeln, der zuvor in der Ukraine gewütet hatte.

Noch in der Ukraine hatte Heinrich Himmler Jeckeln getroffen. In Nikolajew hielt Himmler eine Rede an die Angehörigen der Einsatzgruppe D, in der klar machte, dass der Krieg gegen die Sowjetunion der Vernichtung des Bolschewismus diene. Am 5. Oktober erstattete Himmler Bericht an Hitler, in dem er schrieb, dass er von den Bewohnern Kiews einen schlechten Eindruck habe und man „80-90% von ihnen entbehren könnte.“[5] Auf HSSPF Jeckeln’s Konto geht schließlich das Massaker in Babi Yar bei Kiew. Im Stab Jeckeln arbeitete auch der Oberhausener SS-Standortführer und Ratsabgeordnete Robert Esser, der schon in der Ukraine als Sonderführer Liquidierungsaufträge für Jeckeln geleitet hatte. Jener Robert Esser, ehemals Bademeister im Oberhausener Stadtbad, der in der Reichskristallnacht federführend an der Niederbrennung der Oberhausener Synagoge beteiligt war.[6] Im Baltikum berichteten an Jeckeln die SS-Brigadeführer Schröder, Wysocki und Möller. Lucian Wysocki, SA-Führer in Oberhausen seit 1934 und Polizeipräsident seit 1938, war damit ebenfalls tief in Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Litauen verstrickt. Jeckeln schaltete sich sofort nach Ankunft im Baltikum in die Vernichtungsaktionen ein.[7]

[1a] Alfred Gottwaldt, Diana Schulle; Die Judendeportationen aus dem Dritten Reich 1941 – 1945; Seite 13

[1b] Helene Holzman; Dies Kind soll leben – Die Aufzeichnungen der Helene Holzman 1941 – 1944; Seite 14

[2] Helene Holzman; Dies Kind soll leben – Die Aufzeichnungen der Helene Holzman 1941 – 1944; Seiten 28/29

[3] Urteil Az. L8 R74 / 05; LSG Nordrhein Westfalen 4. Juli 2007

[4] Else R. Behrend-Rosenfeld (1891 – 1970), Ich stand nicht allein (Leben einer Jüdin in Deutschland 1933 – 1944); Seite 121 ff.

[5] Katrin Himmler/Michael Wildt; Himmler privat – Briefe eines Massenmörders; Seite 269

[6] Dieter Kusenberg; Lucian „Lutz“ Damianus Wysocki – Der ungesühnte Aufstieg vom Polizeipräsidenten zum SS-General im Osten; Schriftenreihe der Gedenkhalle Schloß Oberhausen; Band 2

[7] Dieter Kusenberg; Lucian „Lutz“ Damianus Wysocki – Der ungesühnte Aufstieg vom Polizeipräsidenten zum SS-General im Osten; Schriftenreihe der Gedenkhalle Schloß Oberhausen; Band 2; Seiten 48/49



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