Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Brüx, Maltheuern und Oberleutensdorf 1944/45

Die Reichswerke Hermann Göring gründeten schließlich die Sudetendeutsche Treibstoffwerke AG Oberleutensdorf und begannen im Mai 1939, westlich der Bahnlinie Brüx-Oberleutensdorf, bei Maltheuern, mit dem Bau eines Hydrierwerks. Zweck war die Herstellung von synthetischem Flug- und Autobenzin, Diesel- und Heizöl sowie Nebenprodukten durch die Verkokung von Braunkohle.

Das Hydrierwerk in Maltheuern

Die Städte Brüx, Maltheuern, Oberleutensdorf und Rosenthal, die Richard in seinen Briefen im Spätherbst 1944 beschreibt liegen im ehemaligen Sudetenland bzw. am Fuße des Erzgebirges in der heutigen Tschechei. Die Stadt Brüx in ihrer alten Form existiert in der Gegenwart nicht mehr wie früher, Tage- und Untertagebau von Braun- und Steinkohle haben ihre Spuren hinterlassen. Die Stadt war regelrecht unterminiert. Das alte Brüx musste dem oberirdischen Braunkohleabbau Anfang der 70iger Jahre des 20. Jahrhunderts weichen und entstand an anderer Stelle mit dem Namen Most neu. Von den Luftwaffenhelfern mit denen ich während meiner Recherchen sprechen konnte, wird die Stadt Brüx im Nachhinein als „schmuddelig“ und „schmutzig“ beschrieben.

“Im gesamten Brüx-Duxer Raum dominierte der Abbau der Braun- und Steinkohle in Schächten und im Tagebau. Kein Gewinn für die Landschaft – aber Geld! Beste Braunkohle in guter Lage. Da die Kohle schwefelhaltig war, herrschte in der ganzen Gegend ein eigenartiger Geruch. Industrielandschaft.“

Interessant sind für die knapp drei Monate die mein Großvater von Ende Oktober 1944 bis Mitte Januar 1945 im Brüxer Umland verbracht hat. Die Flak in Brüx unterstand seit Sommer 1944 dem Flakregiment 88, dass von Wien nach Brüx verlegt worden war. Ende 1944 zählte der Gürtel um das Hydrierwerk in Maltheuern 50 Flakbatterien. Die amerikanische Luftwaffe flog auf die Hydrierwerke im gesamten Reich schwere Luftangriffe, waren die grossen Industriewerke doch die letzte Möglichkeit für Hitler Deutschland Treibstoff für Panzer, Flugzeuge etc. zu produzieren.

Geschützsoldat in Brüx

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Besonders ergiebig waren Hinweise von Luftwaffenhelfern, verschiedenster Schulen aus dem Sudetenland (Brüx, Karlsbad, Dux, Kaaden, Teplitz, Tetschen-Bodenbach, Glogau, Glauchau etc.). In Neudorf an der Biela lagen seit Anfang Juli 1944 die Doppelbatterien 8./692 und 7./693. Beides waren Batterien, die aus ehemaligen Heimatflakbatterien (232/IV und 235/IV) hervorgegangen waren. Mein Grossvater schrieb unter der FPN L63933 (7./693) in einem seiner letzten Briefe: „Da ich noch länger hier bleibe, kann ich mich darauf vorbereiten. Meine Lage ist die, dass ich hier in Neudorf a. d. Biela bleibe, bis der besondere Einsatz hier irgendwie erforderlich ist. Zum Westen, Osten oder Süden der Hauptfront geht es nicht, wie ursprünglich angenommen wurde. So seid ohne Sorge um mich.“

Richard muss trotz der örtlichen Gebundenheit an Neundorf an der Biela recht intensiven Kontakt zu Soldaten und Luftwaffenhelfern der 10938 z.B.V. gehalten haben. Diese Batterie kam vermutlich aus Österreich in die Umgebung von Brüx und lag in Oberleutensdorf-Rosenthal (Lager 34). Leider sollte sich der längere Aufenthalt in Neundorf nicht bewahrheiten. Batteriechef war zu jener Zeit ein Oberleutnant Kröber. Meßstaffelführer ein Wachtmeister Gustav Futterer, Geschützführer ein Wachtmeister Saule aus Wien. Bei einem Angriff im Herbst 1944 wurde der Stabswachtmeister Köhler durch Granatsplitter getötet.Die Batterien 7./693 und 8./692 wurden im Endkampf ab April 1945 nach Westen verlegt. U.a in den Raum Tirschenreuth / Mähring.

Exkurs: Das tragische Schicksal der Unteroffiziere Müller und Futterer

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“Besonders tragisch war, dass ich Müller nach meiner Entlassung als LwH noch einmal besucht habe und er mir freudestrahlend berichtete, am 14. März 1945 (meinem Geburtstag) Vater geworden zu sein. 1947 habe ich den Friedhof besucht, beide lagen in einem Gemeinschaftsgrab. In den neunziger Jahren waren die Gräber aufgelöst. Vermutlich auf einen Soldatenfriedhof umgebettet.”

(ein ehemaliger Luftwaffenhelfer)

Das vermutlich letzte Dorf in NO-Bayern, das von den Amerikanern beschossen und besetzt wurde, war Mähring in der Oberpfalz, nahe der böhmischen Grenze. Es sollte bis auf den letzten Stein verteidigt werden. In Wehrmachtskreisen schien man diese Meinung kurz vor Kriegsende nicht zu teilen, so dass man annehmen muss, dass nur noch notorische Fanatiker, SS-Streifen, fanatisierte Jugendliche und Werwolfgruppen bereit waren, sich dem Feind entgegenzuwerfen.

An dem der Strasse zwischen Poppenreuth und Mähring nahe gelegenen Hohlweg gegenüber der Feldkapelle befanden sich PAK Stellungen, die von einer ehemaligen Luftwaffeneinheit bezogen worden waren. Es handelte sich um drei umgerüstete Flakgeschütze der 8./692, die man aus dem Raum Brüx hierher verlegt hatte.

Oberleutnant Kröber, der Kompaniechef, hatte den Befehl erteilt, amerikanisches Feuer nicht zu  erwidern, auch nachdem die ersten Granaten im Ort eingeschlagen hatten. Es gab rechts und vor allem links jener Strasse zwischen Poppenreuth und Mähring – am bewaldeten Berg – verschiedene Flak- u. Pakstellungen. Hier taten meist schlecht ausgebildete Flakhelfer, Jugendliche oder ”Männer vom letzten Aufgebot”/Volkssturm neben wenigen erfahrenen Wehrmachtsangehörigen Dienst. Zwei von den Letzteren waren der damals 28 jährige Oberwachtmeister Gustav Futterer (Flak- Meßstaffelführer) und der 22jährige Uffz. Rudolf Müller, Geschützführer.

Am 3.5.45 war vom Osten her noch ein Lkw mit „Ausrüstung“ gekommen (Gewehre u.ä.). Da die Amerikaner immer näher kamen, wurde von weniger Erfahrenen sogar der Versuch unternommen, Tiefflieger mit einfachen Gewehren abzuschiessen, was jedoch misslang. Als dann ein amerikanischer  Panzer auf der o.e. Straße erschien, wurde in Werwolf-Manier (ähnlich wie zuvor an manchen anderen  Orten) demonstriert, dass Mähring verteidigt werden würde: Der Panzer wurde angeschossen, die Kette getroffen, wodurch er fahruntüchtig geworden war.

Gedenkstein Futterer und Müller

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Zum weiteren Geschehen gibt es widersprüchliche Aussagen darüber, von welcher Seite der Schuss gekommen ist. Wer geschossen hat ist gar nicht bekannt. Nachdem am Kriegsende festgestellt werden konnte, dass keines der grossen PAK- Geschütze am Berg in der Nähe gefeuert hatte, muss man annehmen, dass mit Panzerfäusten geschossen worden war. Möglicher- weise war der Panzer auch schlichtweg auf eine Mine gefahren. Allerdings ist nach Zeitzeugenberichten nicht bekannt, dass das Gelände vermint worden wäre.

Es ist weiter anzunehmen, dass die Schüsse auf den Panzer aus ca. 200m Distanz (z.B. vom Hohlweg) kein Akt erfahrener Soldaten gewesen sein können! Wie es in der Folge dann dazu kam, dass die Panzerbesatzung  „zwei deutsche Soldaten“ erschoss und im Anschluss noch die jungen Flakhelfer gefangennahm, herrscht völliges Unwissen.

Jedenfalls fanden am nächsten oder übernächsten  Morgen, Dorfbewohner aus der Umgebung Gustav Futterer und Rudolf Müller erschossen nahe beieinander liegend und einander zugewandt mitten auf der Waldwiese am Berg, ca. 100 m von ihrem vermutlichen Gefechtsstand entfernt (Einer der beiden muss nicht sofort tot gewesen sein und sich noch kriechend auf den Freund zubewegt haben. Dies liess sich aus entsprechenden Stiefelschürfspuren im Gras lesen. Die beiden Toten hatte man so zurückgelassen….
Der Oberleutnant hatte noch alle Geschütze der Stellung entladen lassen, und befohlen dass sich alle Soldaten am Ortsausgang sammeln sollten. Er selbst floh über die nahe Grenze!  Mähring wurde dann mit Brandgranaten bombardiert, bis weisse Fahnen geschwenkt wurden. Dann stellten die Amerikaner das Feuer ein, nahmen die Soldaten gefangen und führten sie am folgenden Tag weg.

Die beiden Toten auf der Wiese aber wurden noch – ehe sie von dort ins Nahe Griesbach abgeholt werden konnten – beraubt: Stiefel, Koppel, Uhren usw. waren verschwunden…

Opfer waren sie geworden – in mehrfacher Hinsicht…

Karl-Gustav Futterer ruht auf der Kriegsgräberstätte in Hofkirchen (Bundesrepublik Deutschland) . Endgrablage: Reihe 26 Grab 46

Rudolf Müller ruht auf der Kriegsgräberstätte in Hofkirchen (Bundesrepublik Deutschland) . Endgrablage: Reihe 26 Grab 45

Ich suche:

– Luftwaffenhelfer oder deren Nachkommen, die in und um Brüx (Oberleutensdorf, Görkau; Neundorf) eingesetzt waren

– Flakkampftrupps bzw. -batterien im Osten

– Insbesondere die Zeit Herbst 1944/ Winter 1945 ist für mich von großem Interesse

– Schlüssel ist für mich die Flakbatterie 10938 z.b.V. (ex 7./388), die aus dem österreichischen Raum kam (Linz oder Wels)

– Hinweis zu einer evangelischen Gemeinde in Görkau

– Informationen zum Lager 34 des Hydrierwerks



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