Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Münster 1935 bis 1937

Ähnlich wie in seiner Heimatstadt Oberhausen, hatte die NSDAP es in Münster weit schwerer als in anderen Städten und Regionen des Deutschen Reiches. Das lag zum einen an der starken Stellung der katholischen Kirche in der Stadt, ferner bot die bürgerliche Presse der Partei wenig Plattform zur Agitation.

Staat und ev. Kirche gehen auf Konfrontationskurs

Über Richards Studienzeit in Münster habe ich für das Universitätsprojekt „Flurgespräche“ 2016 einen längeren Aufsatz geschrieben: Flurgespräche

Deshalb an dieser Stelle nur einige weiterführende Ergänzungen.

Die Hochschulpolitik der Nationalsozialisten setzte sich drei Ziele: Schaffung eines neuen Typus von Professor, von Student und von Wissenschaft. Doch fehlte es an klaren Konzepten, sicherlich auch deshalb, weil Hitler kein besonderes Interesse an der Wissenschaft hatte. Sein Weltbild war ausschließlich rassistisch geprägt, nicht wissenschaftlich. Hitler priorisierte den Körper vor dem Geist, den Marschierer vor dem Denker, den intuitiven Forscher vor dem methodisch arbeitenden Wissenschaftler. Aufgrund dieser Weltanschauungen konnte wissenschaftlich betriebene Hochschularbeit gar nicht im primären Fokus der Nationalsozialisten stehen.[1]

Eine tiefe Zäsur an den Universitäten hinterließ das Berufsbeamtengesetz vom April 1933. Die in der Folge laufende Säuberung führte an den deutschen Universitäten zu einem Aderlass hochausgebildeter Spitzenforscher. Strauss nannte dies die „Selbstenthauptung des deutschen Geistes“. Der bayerische Kultusminister und alte NSDAP-Kämpfer Hans Schemm forderte 1933 vor Professoren: „Von jetzt ab kommt es für Sie nicht mehr darauf an, festzustellen, ob etwas wahr ist, sondern ob es im Sinn der nationalsozialistischen Revolution ist.“  Widerspruch gab es aus den Reihen der hier angesprochenen keinen. Unverzüglich griff der Parteiapparat auch auf die Organisationsstruktur der Universitäten ein. Das Führerprinzip wurde auch auf die Hochschulen übertragen. Die im Grunde Intellektuellenfeindliche NSDAP legten großen Wert auf die zügige Heranbildung eines regimekonformen Wissenschaftsnachwuchses.

Die Staatspolizei für den Regierungsbezirk Münster beschrieb die Stimmung in der Bevölkerung, insbesondere in der Arbeiterschaft, dem kaufmännischen Mittelstand und dem Handwerk im April 1935 als gedrückt. „Weite Kreise der Bevölkerung sind auch mit der Haltung des Staates in der Kirchenfrage nicht einverstanden und geben ihrer Mißstimmung in der Öffentlichkeit unverhohlen Ausdruck. Dazu kommt, daß durch das Verhalten der im hiesigen Bezirk untergebrachten Legionäre und der HJ wiederholt die religiösen Gefühle der Katholiken verletzt worden sind, so daß es nicht wundernimmt, wenn insbesondere weite Kreise der katholischen Bevölkerung noch abseits stehen und zum Teil sogar staatsfeindlich eingestellt sind.“ [2]

Mitgliedskarte Richard Göbel, Münster

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Richards zunächst bezogene Wohnung in Münster war im März 1935 in der Wankelgasse Nr.3, nur einen Steinwurf von der Universität entfernt. Er wohnte zur Untermiete bei einem Geschwisterpaar Liehr. Im April folgte die Immatrikulation für evangelische Theologie und ebenfalls im April trat er der Studentenverbindung Vartburgia bei.

Rektor Prof. Hugelmann, der im April 1935 den Vorgänger Hubert Naendrup abgelöst hatte, gestattete Richard ein nachträgliches Belegen seiner Studienfächer bis 8. Mai. Insgesamt belegte er im ersten Semester sechs Vorlesungen (Griechischer Sprachkurs II, Einführung ins Neue Testament und Kirchengeschichte I, Sportfechten, Fünfkampftraining und Kleinkaliberschießen) mit insgesamt 19 Wochenstunden. In Münster kam Richard Göbel schnell in Kontakt zu Studenten der evangelischen Theologie, die gegen nationalsozialistische Vorstellungen der Ausbildung von Theologen opponierten. Ab 1935 kam es zu grossen inneruniversitären Spannungen bezüglich der Ausbildung des theologischen Nachwuchses. Richard zog alsbald in das Hamann-Stift am Alten Steinweg. Das Stift war ein Studentenwohnheim, für deren Bewohner sich auch schnell die Gestapo interessierte. Erich Sander war der Studieninspektor des Stiftes. Ihn hatte die Gestapo im Visier, als sie im Juni 1935 schrieben: “Eine starke Aktivität der kirchenpolitischen Bestrebungen in der Bekenntnisgemeinde wurde andererseits durch einen Dr. Erich Sander aus Münster gefördert. Der Genannte hat eine Anzahl evangl. Theologiestudenten zu einer studentischen Gruppe der Bekenntnisgemeinde zusammengeschlossen, die regelmäßig geschlossene Versammlungen abhält und in denen besonders aggressive Pfarrer der Bekenntnisfront als Redner auftreten. (…) Als Ergebnis der von Dr. Sander innerhalb der evangelischen Fakultät betriebenen Agitation zum Zwecke einer weiteren Zuspitzung des Kirchenkampfes haben sich an der Universität Münster Verhältnisse ergeben, die schon jetzt als untragbar zu bezeichnen sind. Durch den Dekan der evangelisch-theologischen Fakultät sowie durch den Universitätskurator sind Klagen laut geworden, daß eine fruchtbare Gemeinschaftsarbeit in der evangelischen Fakultät aufgrund der kirchenpolitischen Parolen der Sanderschen evangelischen Studentengruppe unmöglich gemacht wird.“ [3]

Studentenkarte Richard Göbel, Münster

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Richard schloß sich Anfang 1936 der Studentengruppe der Bekennenden Kirche in Münster an. Längst hatte die Universität der Kirchenkampf erreicht. In Münster entbrannte der Streit insbesondere an der Prüfungsfrage und der Haltung der beiden Professoren Stählin und Herrmann.

Johannes Wolff hielt am 23. Mai 1936 für die Lage der Universitäten fest: „In Münster ist das rheinische Theologiestudentenamt stationiert (H.W. Wolff). Er hat bisher 340 rheinische Theologiestudenten festgestellt, von denen gehören 220 der Bekennenden Kirche an, 18 den DC und 80 verhalten sich neutral. Diese studieren natürlich nicht alle in Münster. – Das Westfälische Theologiestudentenamt hat noch keine Zahlen mitgeteilt. Die Lage in Münster für die Studenten der Bekennenden Kirche ist dadurch schwierig geworden, dass die Professoren Stählin und Herrmann sich an den Prüfungen der Ausschüsse beteiligt haben. (…) Es ist jetzt die Frage, ob man bei diesen Professoren, die Wert darauflegen, die rote Karte zu behalten, noch hören soll.“ [4]

Die besondere Schärfe des Streites entbrannte an der Weigerung der Bekennenden Kirche, ihre Studenten von Professoren, Konsistorialmitgliedern und Pfarrern mit deutsch-christlicher Besinnung, prüfen zu lassen. Die Professoren der Universität mussten sich letztendlich entscheiden, ob Sie an den Prüfungen der „legalen“ Konsistorien oder der „illegalen“ der Bekennenden Kirche teilnehmen wollten. Die Haltung von Stählin und Herrmann führte schließlich dazu, dass Studenten ihre Vorlesungen boykottierten. An einer nationalsozialistischen Universität ein ungeheurer Vorgang. Auch Richard gehörte zu den boykottierenden Studenten und wurde in der Folge mit einem Verweis belegt.

Wie Richard Göbel, erhielten folgende Studenten im Dezember 1936 ebenfalls Verweise

  • Paul Colberg aus Bielefeld
  • Heinz Dahlmann[5] aus Bunzlau
  • Heinrich George aus Essen, Brunhildenstr. 7
  • Albert Kehl aus Wesel,
  • Walter van de Loo[6] aus Uedemerfeld/Niederrhein) Münster
  • Kurt Oetting aus Gladbeck, Roßheidestr. 30
  • Heinz Rüssmann aus Lünen, Dortmunderstr. 6
  • Heinrich Vollriede aus Bergkirchen

Im Winter 1937 verließ Richard Münster in Richtung Bethel. Neben den obigen Studenten, erwähnte Richard Göbel in seinen Briefen aus Münster einige weitere Kommilitonen

  • Gottfried Auffahrt, Fritz Achenbach, (?) Altenmüller, Friedhelm Steinweg, Hans Neuenhaus, Hans Borken

Sollten Sie bei der Suche nach Familienmitgliedern oder bei Forschungen zur ev. Studentengemeinde Münster/Hamann Stift auf meiner Seite gelandet sein, würde ich mich über eine Kontaktaufnahme freuen.

[1] Siegele-Wenschkewitz/Nicolaisen – Theologische Fakultäten im Nationalsozialismus; Seite 52-53

[2] Joachim Kuropka; Meldungen aus Münster 1924 –1944; Seite 153

[3] Joachim Kuropka; Meldungen aus Münster 1924 – 1944; Seite 596

[4] Bestand 5.1/118 – Archiv der Evangelischen Landeskirche von Westfalen

[5] Heiner „Heinz“ Dahlmann 28.Juni 1914; Mitglied der SS von November 1933 bis April 1935; gefallen in Stalingrad 1943

[6] Walter van de Loo; geb. 16.11.1911 Uedemerfeld/Kleve; drei weitere, ältere  Brüder; SA Mann seit 1.11.1933; Verweis unter Androhung der Entfernung von der Uni Münster am 25.3.1937



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