Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Bethel 1937/38

Die nahe bei Bielefeld gelegene Kirchliche Hochschule Bethel wurde im Jahre 1905 von Pastor Friedrich von Bodelschwingh als „Theologische Schule Bethel“ gegründet. Den heutigen Namen „Kirchliche Hochschule“ trägt sie erst seit 1945. Bethel kommt aus dem Hebräischen und bedeutet „Haus Gottes“. Die Theologische Schule war die erste nicht-staatliche, evangelisch-theologische Ausbildungsstätte in Deutschland.

Die Theologische Hochschule Bethel kämpft um ihre Unabhängigkeit

Non moriar, sed vivam, et naarabo opera Domini

(Psalm 118,17)

– Ich werde nicht sterben, sondern leben, um die Taten des Herrn zu verkünden

Briefe von Richard Göbel an seine Eltern und an den Leiter der Theologischen Hochschule Bethel, Georg Merz zeigen, dass er nun auch von anderer Seite Probleme im Studium drohten. Seine Leistungen in Griechisch, insbesondere der griechischen Grammatik, führten Ende 1937 fast zur Beendigung des Studiums. Leider ist heute nicht mehr erhalten, warum es in Bethel am Ende trotzdem für ihn weiterging. Es mag an der grundsätzlich kritischen Haltung der Professoren gegenüber dem nationalsozialistischen Staat gelegen haben, dass er an der Theologischen Hochschule, die ja nicht staatlich war, weiter studieren konnte.

Als Glücksfall hat sich für mich erwiesen, dass sein mehrseitiger, handschriftlicher Lebenslauf aus seiner Studentenakte erhalten geblieben ist. Das ich Kopien erhielt, lag an einem unwahrscheinlichen Zufall. Zu Beginn meiner Recherchen schrieb ich die Theologische Hochschule zwecks Unterlagen an. Normalerweise liegen die Studentenakten fest verschnürt im Keller. Die Akten werden aus Archivierungsgründen nicht mehr geöffnet. Richards Akte lag aber auf dem Stapel. Als das Berliner Bezirksamt Tiergarten 1946 begann Nachforschungen zu den Toten des Zoo-Bunkers anzustellen, schrieb das Amt die Hochschule an, da bei Richard Göbels Leichnam nur seine Bibel gefunden wurde. Die Inschrift SS 36/37 Bethel führte an die Theologische Hochschule.

Vermutlich ging ein Mitarbeiter ins Archiv, suchte die Heimatadresse aus der Akte und legte diese nur mehr obenauf. Dort lag sie dann vermutlich die nächsten 60 Jahre, bis zu meiner Anfrage.

Aufnahmebedingungen Griechisch/Latein

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Bis Mitte 1935 waren die Tagesabläufe in Bethel durchaus noch an den Gegebenheiten des nationalsozialistischen Staates angepasst. Dazu gehörten die alltäglichen Flaggenappelle und das Absingen einschlägigen Liedgutes. Auch der Dienst der meisten Theologie-Studenten in der SA war davon nicht betroffen. Das änderte sich mit der geänderten Kirchenpolitik der NSDAP und den Versuchen, die evangelische Kirche gleichzuschalten.

Nach einem Bericht der Gestapo Bielefeld gehörten 1935 noch ca. 75% der Betheler Studenten der SA an. Im Zuge des Kirchenkampfes mehrten sich in Bielefeld im Sturm 1/174 die Austritte aus der Parteiorganisation. Der Führer des Bielefelder SA-Sturms lehnte die Aufnahme von Studenten wegen „Zersetzungserscheinungen“ schließlich von sich aus ab. Andererseits schloss die Theologische Schule 1935 mehrere Studenten wegen Vertrauensbruchs aus, da sie für die Gestapo Spitzeldienste geleistet hatten.[1]

Im folgenden Sommersemester 1936 wurde ab dem 1. April erstmals darauf verzichtet, Zugehörigkeiten der Studenten zur NSDAP oder einer ihrer Vereinigungen zu erwähnen. Flaggenparade im Jägerstift war nur noch Montags. NS-Liedgut wurde kaum noch, außer z.B. zum Führergeburtstag, gesungen. Der „Führer der Wohnkameradschaft“ Jägerstift am 1. April war Ernst-August Zubeil, der später auf der Liste der 1937 beurlaubten Studenten zu finden ist. Der Spitzname des Mitbewohners Ludolf Müller war „Reibi“, als Anspielung auf den DC Reichsbischof Müller. Auch die Einträge im Studienbuch lassen aufmerken. „Heute ist der zweite Mai, morgen wird der dritte sein.“ Am 5.Mai schrieb der Diensthabende „Die Flagge funktioniert tadellos. Auch sonst wies der Dienst keine übermäßigen Störungen auf.“ Am 6. Mai ein Hinweis auf einen Vortrag des führenden Bekennende Kirche-Pfarrers Karl Lücking im Remter zu Bethel. Eintrag 29. Mai: „Ich habe geweckt und auch die Flagge hochgezogen“.

Brandt schreibt an die Studierenden des Wintersemesters 1935/36 am 7. Oktober 1935: „Die Theologische Schule hat sich schon vor zwei Semestern der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche unterstellt. (…) Der Studierende der Schule bleibt angesichts der großen Fragen unserer Kirche in seiner Entscheidung frei. (…) Wir fordern nur unbedingt, daß er als Gast Bethels die Arbeit der Theologischen Schule nicht stört. Wer den Versuch unternimmt, in die in dieser Bindung stehende theologische Arbeit eine Störung hineinzutragen, kann sofort entlassen werden. Falls jemand glaubt, sich einer theologischen Ausbildungsstätte, die unter der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche steht, aus äußeren oder inneren Gründen nicht anvertrauen zu können, ziehe seine Meldung zurück.“[2]

Gedenkblatt für gefallene Theologen der Landeskirche

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Joseph Goebbels notierte zum Kirchenkampf am 12. Mai 1937 in seinem Tagebuch: „Noch lange Debatte mit dem Führer über Kirchenfrage. Er begrüßt die radikale Wendung der Pfaffenprozesse. Will keine Konfessionalisierung der Partei. Selbst auch nicht zum Gott erhoben werden. Geht dabei mit Himmler scharf ins Gericht. Wir müssen die Kirchen beugen und sie zu unseren Dienern machen. Das Zölibat muß auch fallen. Die Kirchenvermögen eingezogen werden, kein Mann vor dem 24. Lebensjahr Theologie studieren. Damit nehmen wir ihnen den besten Nachwuchs. Die Orden müssen aufgelöst, den Kirchen die Erziehungsberechtigung genommen werden. Nur so kriegen wir sie in einigen Jahrzehnten klein. Dann fressen sie uns aus der Hand.“[3]

Der Senior der Studentenschaft sagte am Ende des Sommersemesters 1937: “Wer noch zum Schluß des vorigen Semesters in der Illusion lebte, in den Fragen der Kirche eine – wie man sagt – neutrale Stellung einnehmen zu können, dem wird im Laufe der letzten Monate deutlich geworden sein, daß Kirche Jesu Christi nur sein kann als eine bekennende Kirche unter der Richtschnur des Wortes Gottes, das kein Menschenwort neben sich duldet und keine menschlichen Rücksichtnahmen erlaubt.“ Die Konsequenzen wurden von den Studierenden gezogen, in dem die Betheler Studentengemeinde aus dem NSDStB austrat.[4]

Im Oktober 1937 wurde die Theologische Hochschule schließlich von der Gestapo durchsucht. Es sollte festgestellt werden, ob sich in Bethel ein illegales Prüfungsamt befände. Richard Göbel kämpfte Ende Oktober um die Zulassung für ein weiteres Semester in Bethel. Seine Leitungen im Griechischen waren nicht ausreichend. Trotzdem muss er es mit Unterstützung Georg Merz geschafft haben, dass die Theologische Hochschule die Exmatrikulation zurück nahm. Im Bogen seiner Studentenakte in Bethel ist schließlich vermerkt, dass er erst am 30.6.1938 exmatrikuliert wurde. Er gab das 3. Bethel und das 7. Allgemeine Semester an. 1938 wohnte zur Untermiete im Saronweg 36.

[1] Bernd Hey, Die Kirchenprovinz Westfalen 1933 – 1945; Seite 314; Berichte der Stapo Bielefeld in StA DT M1 IP 654 (Seite 426 bis 431) und StA DT M1 IP 654 S. 391 – 443

[2] Merkblatt an die Studierenden des Wintersemesters 1935/36 in Kirchliche Hochschule Bethel, Gerhard Ruhbach; Seite 185

[3] Joseph Goebbels, Tagebücher, Band 3, Seite 1081

[4] Kirchliche Hochschule Bethel 1905 – 1980, Seite 99



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