Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


In Haft

„Gestern um 10 Uhr hat mich der Herr der Gestapo [vermutlich Kriminalassistent Bartels], der mich am Dienstag vernahm, zum Amtsgerichtsgefängnis gebracht. Nach Erledigung der Formalitäten wurde mir eine Zelle zugewiesen. Sie ist größer und schöner, als die im Polizeigefängnis, auch die Einrichtung ist eine bessere. Heute wurde ich dem Untersuchungsrichter zugeführt. Meine im Protokoll gemachten Angaben habe ich nochmals bekräftigt. Leider kann ich Euch den Inhalt gar nicht so darlegen, wie es nötig wäre. Es ist ratsamer, Euch bei dem Besuch darüber zu unterrichten. Ein abschließendes Urteil ist noch nicht gesprochen. Ich weiß nur, dass mir ein Vergehen gegen das Heimtückegesetz zur Last gelegt wird. Vorläufig bleibe ich noch in Untersuchungshaft, d.h. bis zum Zeitpunkt der Verhandlung.“ (Richard Göbel am 29.9.1938 an seine Eltern)

Während der Sudetenkrise stehen die Zeichen auf Krieg!

Im Werk Sterkrade der GHH hatte Richard Göbel indessen für Tumulte gesorgt, hatte er doch während der Rede Hitlers zur Sudetenfrage sinngemäß als Lügner dargestellt und Rosenberg, den Chefideologen der NSDAP, als Fantasten. Es kam in der Folge zu Tätlichkeiten zwischen ihm und einigen Arbeitern. Richard wurde „empört“ zum Verlassen des Werkes aufgefordert.

Währenddessen schrieb Joseph Goebbels nach Hitlers Rede im Sportpalast in sein Tagebuch: „Zum Sportpalast. Eine tolle Stimmung. Schon in meiner Einleitungsrede geht’s hoch. Der Führer redet großartig. Ein breit angelegter Situationsbericht. Friedlich gegen alle, fest und hart gegen Prag. Ein psychologisches Meisterstück. Das wird seinen Eindruck in der Welt nicht verfehlen. Die Massen rasen. Prag hat nun die Wahl: Krieg oder Frieden! Mein Schlußappell ist ein ergreifendes Bekenntnis. Nie wurden Nationalhymnen so feierlich gesungen. Auch der Führer ist ganz hingerissen von dieser Kundgebung.“

„Ein freies Land erkennt man daran,

dass niemand verpflichtet ist zuzuhören,

wenn die Machthaber sprechen“

(Carlo Franchi)

Nachdem Richard von der Arbeitsstelle bei der GHH nach Hause geschickt worden war, folgte seine Festnahme in den Morgenstunden des 27. September um 4:45. Laut Aktenlage veranlaßte die Verhaftung die Stapo Oberhausen über ihren Leiter Johann Litwinski . Litwinski war mit Unterbrechungen von 1934 bis 1944 als Kriminalobersekretär Leiter der Stapo Außenstelle Oberhausen.  Richard Göbel wurde zunächst ins Oberhausener Polizeigefängnis verbracht. Richards Bruder Heinz erinnerte sich an den folgenschweren Abend: “An diesem Tage hatten wir mit dem Sterkrader Gymnasium einen Busausflug ins Bergische Land gemacht: Schloß Burg in Solingen, Müngstener Brücke, Altenberger Dom, Schloß Benrath über Düsseldorf nach Kaiserswerth. Dort kehrten wir abends in das Lokal Tonhalle ein, um uns dort Hitlers Rede aus dem Sportpalast Berlin anzuhören. Das war der Höhepunkt der Sudetenkrise. Die Spannung war explosiv, es drohte der Krieg. Durch die Konferenz in München mit Chaimberlain, Daladier, Mussolini und Hitler wurde noch einmal der Friede gerettet und der Krieg „vertagt“. Als ich am folgenden Tage nach Richard fragte, den ich vermisst hatte, wurde mir von Mutter berichtet, was sich in der Nacht vom 26. auf den 27. September ereignet hatte. Wir waren natürlich alle verunsichert, ratlos und deprimiert.“

Zustellungsurkunde

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Auch wenn Richard während der Vernehmungen versuchte, seine Einstellung zu Staat, Führerprinzip und Ideologie als im Grunde private Gedanken mit enger Begrenzung auf kirchenpolitische Fragestellungen zu bringen, zeigt das Vermerk des vernehmenden Gestapo Kriminalassistenten Bartels, dass ihm dies nicht gelang. Bartels attestierte eine grundsätzlich „staatsfeindliche Einstellung“: „Wie aus den Aussagen der vernehmenden Zeugen hervorgeht, hat der Beschuldigte auf seiner Arbeitsstelle Reden geführt, die nach Aussagen der Personen die staatsfeindliche Einstellung Göbels erkennen lassen und geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zu dem Führer und der Bewegung zu untergraben. So brachte er zum Beispiel zum Ausdruck, dass der Reichsleiter im Dritten Reich Vorrechte habe, während der evangelischen Kirche alles zu ihrer Rechtfertigung verboten würde. Bücher, die die Kirche auf gegen sie gerichtete Angriffe herausgebe, dürften nicht erscheinen und deutete Göbel diese Maßnahmen des Staates als seine Schwäche.

(…) die staatsfeindliche Einstellung Göbels erkennen lassen und geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zu dem Führer und der Bewegung zu untergraben.

(Gestapo Vernehmungsakten)

Weiter stellte er die Behauptung auf, der Führer habe Rosenberg mit der Herausgabe des Mythos [sic!] beauftragt und gebe der Führer dadurch seine kirchenfeindliche Einstellung Ausdruck. Den Inhalt des Mythos [sic!] stellte er als Fantasie und Lüge hin und bezeichnete den Reichsleiter als einen Fantasten. Weiter sprach er darüber, dass viele Geistliche im Konzentrationslager ungerecht eingesperrt wären. In hetzerischer Form stellte er die Behauptung auf, dass der Führer lügen würde, wenn er sage, dass Pastore von der Kanzel hetzen würden. Diese Ansicht wiederholte er mehrfach und äußerte sich dahin, dass ihm ein Fall bekannt sei, nach welchem ein Geistlicher auf Wunsch des Führers in ein Konzentrationslager gebracht wurde. Mit diesem Fall meint der Beschuldigte den Fall Niemöller aus Berlin, der mit sieben Monaten Festungshaft bestraft wurde und anschließend in ein Konzentrationslager gebracht wurde.“ (…) Unverschämt ist aber auch, dass Göbel in einer Zeit, in welcher der Führer außenpolitisch derart große Sorgen hat und Verpflichtungen auf sich nimmt, durch seine Reden Misstrauen in das Volk zu säen. Sollte sich Göbel der Tragweite seiner Handlungsweise im Augenblick nicht bewusst gewesen sein, so dürfte dies wohl kaum als Entschuldigung dienen können. Göbel ist durch seine eigenen und die Aussagen der Zeugen voll und ganz des Vergehens gegen das Heimtückegesetz  überführt und dürfte dem Amtsgericht zuzuführen sein.“

Haft in Düsseldorf-Derendorf

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Richard wurde schließlich verurteilt und saß im Gefängnis  Düsseldorf-Derendorf ein. An seine Eltern schrieb er: Lest Johannes 3. Eine interessanter Hinweis, denn bei Johannes 3 heisst es:

9„Der Wind (Geist) weht, wo er will; Du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht.“

11“…was wir wissen, davon reden wir, und was wir gesehen haben, das bezeugen wir, und doch nehmet ihr unser Zeugnis nicht an.“

19 „Denn mit dem Gericht verhält sich das so: Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse.

20Jeder, der Böses tut, haßt das Licht und kommt nicht vom Licht, damit seine Taten nicht aufgeweckt werden.

21Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, daß seine Taten in Gott vollbracht sind“



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