Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Das Ende naht!

Die Verteidigung der Reichshauptstadt war eine große Improvisation - und von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Volkssturm, Hitlerjugend und wenige Wehrmachtssoldaten gegen russische Einheiten mit Gardestatus. Die russische Literatur hat später zur Erhöhung der eigenen Leistung, einen heroischen Kampf daraus gemacht.

Der Verteidigungsbereich Berlin 1945 - ein wenig erforschtes Thema

Die Rote Armee stand nach dem Sturmlauf vom Januar 1945 nun an der Oder und hatte bereits Brückenköpfe über dieses letzte natürliche Hindernis vor dem Sturm auf Berlin ausgebildet. Der Wehrmachtsbericht vom 3. Februar meldete Angriffe von Kampfgruppen gegen sowjetische Verbände in der Nähe von Reppen. Reppen war den Berlinern ein durchaus vertrauter Name. Die reizvolle Seen- und Waldlandschaft war ein beliebtes Ausflugziel gewesen und nun stand dort bereits die Rote Armee! In der Nacht zum 1. Februar wurde der Volkssturm aufgerufen. Berlin, als noch nicht voll ausgebaute Festung, wurde zum jetzt Verteidigungsbereich erklärt. Bahnhöfe, Brücken und öffentliche Gebäude wurden besetzt. Die Stimmung in der Stadt war aufs äußerste gespannt und nervös. Doch vergingen die nächsten Tage und Wochen noch ohne größere Meldungen von der Oder-Front. Da die Rote Armee nicht angriff und die Regierung nicht evakuiert wurde, stabilisierte sich die öffentliche Lage augenscheinlich wieder.

Verteidigungsabschnitte auf sowj. Lagekarten

berlin-verteidigungsbereiche

„In diesen Tagen verkündete [Robert] Ley es zum erstenmal öffentlich, daß die Führung jeden aufhängen wird, der nicht seine Pflicht tut. Er verlangt, daß die Gehenkten mit Schildern zu versehen sind, worauf zu lesen ist: „Ich (Name folgt) hänge hier, weil ich zu feige war, deutsche Frauen und Kinder zu verteidigen.“ Der Völkische Beobachter schließt sich diesem Vorschlag begeistert an und proklamiert: „Todesurteile gegen Deserteure werden von nun an im Namen von Frauen und Kindern vollzogen.“

(Jacob Kronika, Der Untergang Berlins, Seiten 69/70)

Ein Verteidigungsbereich war nach militärischer Definition eine noch nicht voll ausgebaute Festung. Festungen wiederum waren nach nationalsozialistischem Verständnis, Orte und Plätze, die bis zum letzten Mann verteidigt werden mußten. Hitler persönlich hatte gerade an der Ostfront selbst in ausweglosen Situationen, unter Androhung der Todesstrafe bis hin zu Generälen, Rückzugsverbote erteilt.

Am Hohenzollerndamm 144, im Gebäude des Wehrbereichskommandos III, befand sich seit Februar die Zentrale für die Koordination des Berliner Abwehrkampfes. Der für die Verteidigung zunächst zuständige  General Reymann hätte nach seiner eigenen Schätzung etwa 200.000 gut ausgebildete Soldaten für eine effektive Verteidigung von Berlin benötigt. Tatsächlich hatte er etwa 94.000 zur Verfügung, von denen 60.000 dem Volkssturm angehörten.

Das war allerdings auch konsequent, da die militärische Führung davon ausging, dass der Kampf um Berlin sowieso an der Oder entschieden werden würde. Rückgrat der Verteidigung der Reichshauptstadt bildeten deshalb schlecht ausgerüstete Volkssturmeinheiten. Nur relativ wenige Wehrmachtseinheiten waren der Stadt zugeteilt, die meisten aktiven Soldaten wurden an die Oderfronten bei Seelow, Küstrin und Frankfurt/Oder geschickt.

General Reymann listete 92 Volkssturmbataillone auf, eingegeteilt in Volkssturm I und Volkssturm II.  Wehrmachtseinheiten in der Stadt waren z.B. Festung-PAK Einheiten und Alarmeinheiten. Der bekannte, inzwischen verstorbene, Fernsehjournalist Lothar Loewe (Jahrgang 1929) hat als 16jähriger an den Kämpfen in Berlin teilgenommen und gab mir ergänzend zu seinem schriftlichen Bericht im Venghaus einige wichtige Hintergrundinformationen zur Struktur des Festungs-PAK Verband III Berlin, zu dessen Stab er als Hitlerjunge angehörte: „Kommandeur unserer Einheit [Stabes] (…) war der Panzerjägermajor Theodor Baechle aus Crailsheim. Ein hochdekorierter, fürsorglicher Offizier, der im Zivilberuf evangelischer Pfarrer war.“  Der Festungs-PAK Verband III Berlin bestand im Wesentlichen aus drei Elementen. Erstes Element waren Schadpanzerkompanien. Diese waren hauptsächlich mit nicht mehr fahrbereiten oder halbfertigen Panzern, die an Strassenkreuzungen und anderen markanten Punkten in Stellung gebracht oder eingraben wurden, ausgerüstet. Ferner sog. Ausbildungspanzer, auf denen früher Panzersoldaten ausgebildet wurden, die aber in ihrer Funktionalität teilweise sehr eingeschränkt waren. Diese hatten z.B. Holzgasmotoren anstatt Dieselmotoren. Besatzungs- oder Bedienpersonal bestand zum Großteil aus regulären Panzersoldaten, die frisch aus Lazaretten stammten oder bereits als nicht mehr kriegsverwendungsfähig aus der Wehrmacht entlassen worden waren und nun im letzten Kampf eingesetzt werden sollten.

Zweites Element der Festungs-PAK Verbände waren die Panzerjagdeinheiten bzw. Panzervernichtungseinheiten, die zum Großteil mit Hitlerjungen besetzt waren. Diese Einheiten waren hauptsächlich mobil eingesetzt. Mit Fahrrädern, Kübelwagen, PKWs etc. sollten die Jungs Jagd auf feindliche Panzer machen.

Das dritte Element waren Kompanien bzw. PAK-Züge, die an bestimmten Strassen, Plätzen und Orten mit 8,8cm Geschützen eingesetzt wurden. Lothar Loewe schätzte die Anzahl der Angehörigen pro Kompanie auf ca. 120. Eine Kompanie bestand aus 3 Zügen, ein PAK-Zug bestand meist aus drei 8,8 cm Geschützen. Richard Göbel dürfte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit also als Geschützführer im PAK-Zug „Spernat“ in Berlin gewesen sein. Die Einheit unterstand vermutlich dem Festungs PAK-Bereich Berlin. Bis zum Schluß war Richards offene Anschrift in Berlin die „Heereswaffenmeisterschule“ am Treptower Park 4-8. Hier wurden verschiedene Kampfverbände ausgrüstet und versorgt.

Eingang der Heereswaffenmeisterschule in Berlin Treptow

eingang-heereswaffenmeisterschule

Der Verteidigungsbereich Berlin wurde auf Anweisung General Reymanns in acht Abschnitte A-H eingeteilt, jeder Abschnitt unterstand einem Kommandanten mit der Befehlsgewalt eines Divisionskommandeurs. Im Zentrum wurde der innere (neunte) Kampfring, die Zitadelle „Z“, gebildet, der dem Verlauf des Regierungsviertels entsprach. Das Bild des Verteidigungsbereichs entsprach einer Torte mit einem Durchmesser von ca. 40 – 60 km. Die einzelnen Befehlsabschnitte hatten die Form von Kuchenstücken. Die zentrale Befehlsstelle der Gesamtverteidigung von Berlin befand sich wie schon erwähnt im Generalkommando am Hohenzollerndamm 144. Jeder Abschnitt hatte eigene Gefechtsstände der Abschnittskommandanten. Diese waren:

Abschnitt A: Otl Bärenfänger (seit 2.5.45 in Berlin vermißt) – Feldpostnummer „FPN“ 64366

Abschnitt B: Oberst Clausen – FPN 64821 / Gefechtsstand Festungs Pionier Schule in Karlshorst

Abschnitt C: Oberst Mootz  – FPN 65178

Abschnitt D: Generalmajor Schreder – FPN 65719

Abschnitt E: Oberstleutnant Römhild(t) – FPN 65976

Abschnitt F: Oberst Eder – FPN 66518

Abschnitt G: Oberst Schaefer – FPN ?

Abschnitt H: Oberstleutnant Rossbach – FPN 67105

Abschnitt Z: Oberstleutnant – FPN 67602

Treptower Park

treptower-park

Innerhalb der jeweiligen Abschnitte gab es Festungsregimenter, denen Kampfbataillone zugeteilt waren. Diese waren im wesentlichen Volkssturmbataillone/-kompanien, verstärkt durch Wehrmachts- und HJ Einheiten

Abschnitt A: Festungsregiment 57

Abschnitt B: Festungsregiment 58

Abschnitt C: Festungsregiment 59

Abschnitt D: Festungsregiment 60

Abschnitt E: Festungsregiment 61

Abschnitt F: Festungsregiment 62: Kommandeur Oberstleutnant Löling

Abschnitt G: Festungsregiment 63

Abschnitt H: Festungsregiment 64

Abschnitt Z/Stadtmitte: Festungsregiment 65

Mohriner Allee, ehemals Mariendorfer Allee, etwa auf Höhe der Gärtnerei Bredow

mohriner-allee

Richard Göbel lag Anfang April 1945 mit seinem Festungs-PAK Zug „Spernat“ nicht mehr am Treptower Park, sondern in Britz (Verteidigungsabschnitt C). Vermutlich untergebracht in einer der vielen Gärtnereibetriebe. Karl Spernat, der Zugführer, war in der Gärtnerei Bredow, Mariendorfer Allee 66-68 (heute Mohriner Allee) einquartiert.

Am 18. April verkündete der Völkische Beobachter, dass den Deutschen eine schwere Prüfung bevor stehe. Mit Berichten über sowjetischen Greueltaten in rückeroberten Dörfern, wurde versucht die Kampfkraft der Berliner Bevölkerung zu steigern. Am 19. April hielt Goebbels zu Ehren Hitlers bevorstehendem Geburtstag, eine Rundfunkansprache. Während der Ausstrahlung entwickelte sich die Lage an der Front bereits sehr kritisch und im Hintergrund der Originalaufzeichnungen hörte man bereits den Geschützdonner. Joseph Goebbels: „Die glänzendste Kultur, die die Erde jemals getragen hat, sinkt in Trümmer dahin und hinterläßt nur noch ein Andenken an die Größe einer Zeit, die die fanatischen Mächte zerstören. (…) Der Krieg neigt sich dem Ende zu. Der Wahnsinn, den die Feindmächte über die Menschheit gebracht haben, hat seinen Höhepunkt bereits überschritten. Er hinterläßt in der ganzen Welt nur ein Gefühl des Schams und des Ekels. (…) Noch einmal stürmen die Heere der feindlichen Mächte gegen unsere Verteidigungsfronten an. Hinter ihnen geifert als Einpeitscher das internationale Judentum, das keinen Frieden will, bis es sein satanisches Ziel der Zerstörung der Welt erreicht hat. Aber es wird vergeblich sein. Gott wird Luzifer, wie schon so oft, wenn er vor den Toren der Macht über alle Völker stand, wieder in den Abgrund zurückschleudern, aus dem er gekommen ist. (…) Der Führer ist der Kern des Widerstands gegen den Weltzerfall. Er ist Deutschlands tapferstes Herz und unseres Volkes glühendster Wille. Wenn die Nation noch atmet, wenn ihr noch die Chance des Sieges liegt, wenn es noch einen Ausweg aus der tödlichen ernsten Gefahr gibt, wir haben es ihm zu verdanken. (…)“

zitiert in: Das Dritte Reich; Ursachen und Folgen – Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart; Band 23; Dokumentenverlag Dr. Herbert Wendler&Co; Berlin; Seiten 122/123



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