Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Abitur 1934

Besuch des Gymnasiums von 1924 bis 1934

Richard Göbel besuchte das Reform-Realgymnasium (heute Freiherr (Albert) vom Stein Gymnasium) seit seinem Übertritt im Jahre 1924. Er besuchte die Schule bis zum Abitur Ostern 1934. Direktor der Schule war seit 1931 Studiendirektor Dr. Gfrörer, der aus Hechingen nach Oberhausen gekommen war. Richard Göbels Abiturzeugnis datiert vom 7. März 1934, nachdem er in der Obersekunda (11. Klasse/1932) wegen mangelnder Kenntnisse in naturwissenschaftlichen Fächern eine Ehrenrunde gedreht hatte. Vermutlich hatten seine Interessen für Musik und das Engagement in verschiedenen Orchestern zur Vernachlässigung anderer schulischer Fächer geführt.

„Auf einem ziemlich dürftigen Instrumente lernte ich das Bassspielen. Ich lernte die Melodien der deutschen Oper kennen; Symphonien von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert fehlten in unserem Repertoire nicht. Grieg, Berlioz und Auber waren auch mit einigen Werken vertreten. Auf kirchlichem Gebiete waren es Händel mit seinem Messias und Haydn mit seiner Schöpfung. In den sechs Jahren hatte ich Gelegenheit, auch meine technischen Fähigkeiten auf dem Klavier und dem Harmonium zu verbessern. Der Besuch der Duisburger Oper und der Konzerthalle wurde mir jedes Mal ein Erlebnis“.

(Richard Göbel im schriftlichen Lebenslauf 1936 über seine Zeit im Schulorchester)

Die Schule war wenige Wochen nach der Machtergreifung zu Anfang März 1933 leider Ort der Ermordung zweier Oppositioneller. Die SA hatte die Turnhalle des Gymnasiums kurzerhand beschlagnahmt um verhaftete Kommunisten und Sozialdemokraten festzuhalten. Leo de Longueville und Konrad Klaas/Claß hatten SA Hilfspolizisten Ende Februar von der Straße weg inhaftiert. Karl Feldkamp, wie Richard Schüler am Realgymnasium, kam am darauffolgenden Montag zur Schule: „Wir Schüler aus Sterkrade kamen um 20 vor sieben zum Realgymnasium. Der Direktor hatte diesen auswärtigen Schülern einen Raum reserviert, in dem sie bleiben durften, bis der Unterricht begann. So war es auch an jenem Montagmorgen. Einer der beiden Toten lag noch in der Wandelhalle, in seiner Nähe stand ein Kübel. Die Schüler waren erschüttert, sie sahen noch die Blutlache und den frischen Einschlag von Geschossen an der Wand. Wir wurden weggejagd, im Aufenthaltsraum durften wir nicht ans Fenster. Am nächsten Tag stand in der Zeitung „Auf der Flucht erschossen!“. Dabei hatten wir alle den Kübel gesehen. Und es war durchgesickert, daß sie beim Wegtragen des Kübels erschossen worden waren.“ [1]

Albert vom Stein Gymansium, ehemals Reform Realgymnasium

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Am 6. Oktober 1933 feierte das Reform-Realgymnasium sein 60jähriges Bestehen. Das Gründungsdatum einer Vorgängerschule,der höheren Knabenschule der Landgemeinde Oberhausen, war der 6. Oktober 1873 gewesen. Zum Gründungsjubiläum fand im Oktober 1933 in der Aula der Schule ein Festakt statt. In der National Zeitung hieß es: „(…) Schon äußerlich zeigte sich die Bescheidenheit zwischen der heutigen und ähnlichen Feiern früherer Jahre. Schüler in der Uniform der Kämpfer Adolf Hitlers empfinden die Besucher und führten sie zum Festsaal, der für die Feier besonders geschmückt war. Bilder des Feldmarschalls und Reichspräsidenten von Hindenburg und des Führers und Kanzlers Adolf Hitler mit Schleifen in den Farben des neuen Reiches zierten die Wände und Lorbeeren flankierten das Podium, Braun und Feldgrau bei Schülern belebte das Bild. Feierliche Stille herrschte im gut besetzten Festsaal, als Studienrat Schug in der Uniform eines einfachen SA-Mannes die Fahne der Anstalt und die Wimpel der einzelnen Klassen, alle geschmückt mit dem Hakenkreuz, einmarschieren ließ.  Freudig reckten sich die Arme der Besucher diesen Zeichen stehend zum deutschen Gruß entgegen. Die Fahnen nahmen zu beiden Seiten des Podiums Platz, den festlichen Eindruck des Raumes noch erhöhend.“ [2]

Vermutlich hat auch Richard als Mitglied des Schulorchesters bei der Aufführung mitgewirkt. Unter der Leitung von Oberschullehrer Sülzer wurde Beethovens „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ gespielt. Die National Zeitung schrieb dazu: „Das Herz ging allen auf bei der Wiedergabe. Ein eigen Gefühl, wenn die wunderschön abgetönten Knabenstimmen sich mit den Klängen des gut besetzten Orchesters verbinden, das hauchzarte Piano des Soprans eine tiefgreifende andachtsvolle Stimmung erzeugt.“

Zu guter Letzt hatte der Generaldirektor der GHH, Paul Reusch, der Schule ein Bild Friedrichs des Großen von Heinrich Franke aus dem Jahr 1766 geschenkt. Dieses Geschenk wurde während des Festaktes feierlich enthüllt.

Abiturzeugnis Richard Göbel 1934

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Hat man heute mit dem Abitur die allgemeine Hochschulreife, stellte sich die Situation damals anders dar. Schon am 25. April 1933 war das sog. „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ verabschiedet worden. Danach durften nur 15.000 Studenten des folgenden Abschlussjahrgangs 1934 ein Studium aufnehmen, davon nur 10% Frauen. Je nach Provinz mussten Abiturienten, um für ein Studium ausgewählt zu werden, neben den schulischen Leistungen auch noch charakterliche bzw. politische Überzeugungen darlegen. Diese Merkmale wurden in die Entscheidung einbezogen, bevor die Hochschulreife zugesprochen wurde. Das betraf somit auch Richard Göbel und mag eine Erklärung sein, warum er im September 1933 in die SA in Oberhausen eintrat, wissend, dass dies seine Chancen auf einen Studienplatz deutlich erhöhen würde.

Stolpersteine für Familie Friedler

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Richards jüngerer Bruder Heinz (1921 – 2011) erinnerte sich in seinen Lebenserinnerungen an den einzigen jüdischen Schüler seiner Klasse am Reform Realgymnasium: Samuel Friedler, geboren am 19.2.1922 in Sterkrade. Samuel war eines von 5 Kindern der Familie Friedler, die ein kleines Warenhaus in der Steinbrinkstrasse betrieb. Samuel muss hochbegabt gewesen sein. Heinz Göbel schrieb: Samuel war der Schlauste von uns allen, während wir noch Karl May lasen, las er Kant.“ Sein jüngerer Bruder Jakob über Samuel in seiner nach dem Krieg erschienen Autobiographie: “Unser ältester Bruder Samuel war ein außergewöhnlich guter Schüler des Stadtgymasiums. In jedem Fach zeichnete er sich aus. Zudem war er ein talentierter Maler und Geiger. Nur wenige Monate vor seiner Abschlußprüfung [1938] wurde er aus der Schule geworfen, nur weil er Jude war. Das Abgangszeugnis bescheinigte ihm ausdrücklich seine überdurchschnittlichen Leistungen. Sogar als man ihn von der Schule warf, würdigten die Lehrer seine Fähigkeiten. Die meisten waren anständig genug, ihm gute Zensuren zu geben, was für sie selbst zweifellos ein gewisses Risiko bedeutete.“ [3]

Samuel Friedler wurde 1942 aus der Nähe Berlins nach Auschwitz verschleppt und ist im Konzentrationslager ermordet worden. Das Schicksal der Familie Friedler in der Reichskristallnacht 1938 ist auch hier nachzulesen

[1] Persönlicher Bericht Karl Feldkamp, zitiert in Rossaint/Zimmermann; Widerstand gegen den Nazimus in Oberhausen; Seite 26

[2] Stadtarchiv Oberhausen; National Zeitung vom 8. Oktober 1933; „60 Jahre Staatliches Realgymnasium“

[3] Jakob Friedler; Die leisen Abschiede – Geschichte einer Flucht; Seite 36



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