Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Aufstieg der NSDAP in Oberhausen

Das Adolf Hitler am 30. Januar Reichskanzler wurde, war ein Zufall der Geschichte. Die Ernennung war im Grunde ein Ergebnis der politischen Rache des ehemaligen Reichskanzlers Franz von Papens an seinem Nachfolger Kurt von Schleicher. Gedeckt wurde diese Intrige unter Erzfeinden durch Reichspräsident Paul von Hindenburg, seit Mitte 1931 gedanklicher Anhänger für eine Militärdiktatur in Deutschland.

Die NSDAP hat es in Oberhausen, Hochburg der katholischen Zentrums-Partei, zunächst schwer

Oberhausen, wie auch das bis 1929 selbständige Osterfeld, war bis 1932 eine Bastion der Zentrums-Partei. Die Wahlergebnisse für das katholische Zentrum lagen zwischen 1919 und 1932 häufig bei über 40%. Die kommunistische KPD war bei Wahlen in Oberhausen in der Regel etwas stärker als die Sozialdemokraten. Die deutschnationale DNVP und die ebenfalls rechtskonservative DVP Gustav Stresemann bekamen meist um die 10% der Wählerstimmen.

„Für die Nationalsozialisten war es ein Glück. Allein die Intensität des Propagandakrieges hätte es nicht geschafft; es war das Elend und die Angst vor dem Elend, was ihnen die Leute zu trieb. Sie wußten das sehr gut, daher sie denn auch die Dinge, die an sich schlimm genug waren, noch übertrieben und für den kommenden Winter mit Freude zehn oder mehr Millionen Arbeitslose voraussagten. Sie machten die Lage noch schlimmer.“

 

(Golo Mann)

Die Oberhausener Ortsgruppe der NSDAP und ihr Ableger, die SA, wurden im Sommer 1925 gegründet. Das evangelische Gemeindehaus in der Nohlstrasse war so etwas wie das erste Vereinslokal der Nationalsozialisten. Dort fand auch die erste große öffentliche Versammlung am 1. Oktober 1925 statt, wobei der SA Saalschutz sofort eine Schlägerei mit „Reichsbanner“ und Kommunisten vom Zaun brach.[1] Im Frühjahr 1926 gehörte Oberhausen mit 104 und Sterkrade mit 64 Mitgliedern zu den mittelgroßen NSDAP Ortsgruppen im Gaugebiet Ruhr. Für Oberhausen, Osterfeld und Sterkrade dürften bis 1926 gerade mal 200 NSDAP Mitglieder bestanden haben.[2] Die ersten in der Presse erwähnten, führenden Nationalsozialisten waren Friedrich Peppmüller, Erich Kauer, (?) Janetzki, Heinrich Daube, Balthasar Hasselmann, Albert Frese und Artur Kleinert. In Sterkrade/Osterfeld waren dies die Parteigenossen (Pg)  Scholz und Friedrich Schütz. In Osterfeld Karl Ohlgart und (?) Diehl[3]. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gab es in Groß-Oberhausen später 55 Ehrenzeichenträger.[4] Erster Ortsgruppenleiter der NSDAP in Osterfeld wurde 1925 Friedrich Schütz. Im Zivilberuf ein Hüttenbeamter bei der GHH, der als Büroangestellter auf den Schachtanlagen Jacobi und Vondern arbeitete.[5]

Karl Olgart (geb. 17.4.1896 in Osterfeld)

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Friedrich Schütz

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Artur Kleinert (8. Mai 1894 - 13. März 1970)

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Quellen: Zeitungsarchiv Stadtarchiv Oberhausen, General Anzeiger

In Oberhausen hatte zur Mitte der zwanziger Jahre ein wirtschaftlicher Aufschwung eingesetzt, der  durch das Eintreten der großen Weltwirtschaftskrise 1929 jäh beendet wurde. Die Zahl der Arbeiter in den Oberhausener Werken der GHH reduzierte sich in den Jahren von 1929 bis 1933 von 30.000 auf nur noch 16.000. In Oberhausen waren auf dem Höhepunkt der Krise 1933 über 25.000 Menschen, das waren 30% aller Beschäftigten, arbeitslos gemeldet. Viele andere mussten sich mit Kurzarbeit abfinden. Anders als in anderen Regionen des Reiches ging in Oberhausen und Osterfeld keine tiefgreifende Radikalisierung der Bevölkerungsschichten von sich.

Die Not der Weltwirtschaftskrise übertraf in vieler Hinsicht das Elend der Nachkriegsjahre und der Ruhrbesetzung durch Franzosen und Belgier. Im Sommer 1932 wurde mit 73,3 Mio. t Kohle lediglich soviel gefördert, wie beim Tiefststand 1919. 1929 hatte die Jahresförderung mit 123,6 Mio. t nahezu doppelt so hoch gelegen wie 1932. Die Weltwirtschaftskrise hatte das Ruhrgebiet mit Bergbau und Eisenindustrie wie keinen anderen Teil im Reich besonders hart und tief getroffen.

OB Dr. Wilhelm Heuser (13. September 1885 - 22. August 1956)

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Gauleiter Josef Terboven (23. Mai 1898 - 8. Mai 1945)

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Quellen: Zeitungsarchiv Stadtarchiv Oberhausen, General Anzeiger

Am 30. Mai 1932 trat die Regierung Brüning zurück. Mit der Rückendeckung des Reichspräsidenten Hindenburg, hatten einflussreiche Kreise um den Reichswehr General Schleicher versucht, den seit 1930 – unter Tolerierung der SPD – regierenden Reichskanzler Heinrich Brüning zu stürzen. Gleichzeitig versuchten die selben Kreise um Kurt von Schleicher, die aufstrebende NSDAP in die Regierungsbildung einzubeziehen. Auf Brüning folgte von Papen, doch Hitler fühlte sich nunmehr an die von Schleicher ursprünglich gegebene Zusage der Tolerierung einer neuen Regierung von Papen nicht mehr gebunden. Bei Verhandlungen, die Hitler mit Schleicher am 6. August 1932 führte, wies er dessen Angebot, als Vizekanzler ins Kabinett zu gehen, zurück und beanspruchte das Amt des Reichskanzlers für sich. Das Deutsche Reich stand so im Spätsommer 1932 am Rande einer Militärdiktatur. Am  12. September brachten Kommunisten, Sozialdemokraten, Zentrum und Nationalsozialisten Reichskanzler Franz von Papen im Reichstag eine vernichtende Abstimmungsniederlage bei.

Die Wahlen zum Reichstag am 6. November brachten wie erwartet keine Mehrheit für von Papen und für die NSDAP größere Verluste zu Gunsten der KPD. In Oberhausen ging die Zustimmung auf 21,4% zurück, in Osterfeld gar auf 16,7%. Der NSDAP gelang kein Einbruch in den Wählerstamm von SPD und KPD, im Gegenteil. Die gesamte sozialdemokratische und kommunistische Presse im Ruhrgebiet feierte den schweren Rückschlag für die NSDAP.[6] Aus Oberhausen ging als einziger Vertreter der NSDAP Politiker Friedrich Peppmüller in den Reichstag, dies aufgrund seines günstigen Listenplatzes. Anfang Oktober 1932 fand in Osterfeld, in der Gaststätte Kalveram, der Kreistag der NSDAP von Groß-Oberhausen statt. Gaubetriebszellenleiter Johlitz und Gauleiter Josef Terboven sprachen zu den versammelten Funktionären.[7] Bei der Wahl am 12. November errangen in Oberhausener Arbeitersiedlungen KPD und SPD weiterhin nahezu 50% der Stimmen, während im mittelständisch geprägten Oberhausen Mitte die NSDAP auf über 30% der Stimmen kam. Die DNVP kam auf 13,4%. Der Vorstandvorsitzende der GHH, Dr. Paul Reusch, tat sich als Befürworter eines autoritären politischen Kurses und als Förderer der Rechtsparteien – insbesondere der DVP Stresemanns – hervor. Im November 1932 unterstützte er die Eingabe von zahlreichen Bankiers, Industriellen und Handelsunternehmern, in der in einer Note an Reichspräsident von Hindenburg die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gefordert wurde.[8]

Wahlergebnisse im Reich und in Oberhausen/Osterfeld 1932

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Aufgrund der Wahlergebnisse vom November verstärkte sich wieder das Bemühen, die Papen-Regierung auf längere Sicht zu installieren. Dem gegenüber stand jedoch die gemeinsame absolute Mehrheit von Nationalsozialisten und Kommunisten. Hitler taktierte mehrfach bei Hindenburg um eine Reichskanzlerschaft zu seinen Bedingungen. Es bedurfte also eines neuen Ansatzes, den der inzwischen zum Reichswehrminister beförderte General Kurt von Schleicher und Meister der politischen Intrige lieferte.[9]

In den Jahren 1929 bis 1932 hatte der am 3. Dezember 1932 neu ernannte Reichskanzler Kurt von Schleicher in der breiten Öffentlichkeit kaum eine sichtbare Rolle gespielt. Er hielt sich im „politischen Bühnenhintergrund“, was ihn in diesen Jahren trotzdem zu einem der mächtigsten Strippenzieher Deutschlands machte. Die eigentliche Quelle von Schleichers Macht war dabei das Vertrauen des Reichspräsidenten von Hindenburg, der sich in den vergangenen drei Jahren häufig auf die Ratsbeschlüsse seines „lieben jungen Freundes“ verließ.

GHH Generaldirektor Paul Reusch warnte Schleicher deshalb im Dezember 1932: „Der Reformwille lässt sich nicht beliebig lange auf Eis legen! Wenn nach einer Besserung der Wirtschaftslage der finanzielle Druck erst wieder so weit von unserem staatlichen Organismus genommen ist, dass dieser wieder einigermassen tief Luft holen kann, dann ist der stärkste Impuls für die Durchführung einer wahrhaft grosszügigen Reform unwiederbringlich dahin.“[10]

Um sich an seinem Intimfeind Schleicher zu rächen benötigte von Papen die Hilfe Adolf Hitlers und seiner NSDAP. Joseph Goebbels notierte zu den Vorgängen in sein Tagebuch: „Papen scharf gegen Schleicher. Will ihn stürzen und ganz beseitigen. Hat noch das Ohr des Alten [Anm. Hindenburg]. Wohnt auch bei ihm. Arrangement mit uns vorbereitet. Entweder die Kanzlerschaft oder Ministerien der Macht: Wehr und Innen. Das läßt sich hören.“ [11]

Am 28. Januar erklärte Schleicher seinen Rücktritt und von Papen gelang es im Laufe des selben Tages den Widerstand Hindenburgs gegen eine Ernennung Hitlers zum Reichskanzler endgültig zu überwinden. Bei den folgenden Verhandlungen über eine Zusammenarbeit von DNVP und NSDAP erzielten von Papen und Hitler schließlich Übereinkunft, Hindenburg genehmigte das besprochene Vorgehen. Hitler sollte Reichskanzler, von Papen sein Vize mit erweiterten Rechten werden. Der Weg für Hitler an die Macht war frei, die Würfel gefallen, das Schicksal Deutschlands besiegelt. Hindenburg ernannte ihn am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler.

In den ersten Märztagen nach der Reichstagswahl wurden mehrere hundert Oberhausener in Schutzhaft genommen. In Oberhausen wurden in der Nacht vom 5. auf den 6. März zwei vermeidliche Kommunisten ermordet. Leo de Longueville und Konrad Klaas/Claß hatte man Ende Februar von der Straße weg inhaftiert. Weil Gefängnis und Polizeikaserne schon belegt war, beschlagnahmten als Hilfspolizisten installierte SA und SS-Leute einfach die Turnhalle des damaligen Realgymnasiums. Beim Entleeren der Notdurft-Kübel wurden die beiden beschossen. Klaas starb direkt an Ort und Stelle de Longueville schleppte sich schwer verletzt in die Turnhalle zurück, wo er verstarb.[12a]

In Groß-Oberhausen wurde der bisherige Kreisleiter Artur Kleinert im Oktober 1933 durch Wilhelm Stiegler[12b] ersetzt, der seit 1930 der SA angehörte und aus Essen nach Oberhausen kam.[13] Nach der Machtübernahme blieb der 1930 ins Amt gewählte Dr. Wilhelm Heuser als Oberbürgermeister an der Macht (bis 1937). Der Zentrumspolitiker Heuser hatte sich den Gegebenheiten schnell politisch angepasst. Der umsichtige Polizeipräsident Weyer und der Kommandeur der Schutzpolizei Polizeioberst Quast wurden entlassen. Tag und Nacht fuhren Mannschaftswagen vom Hof des Polizeipräsidiums, um vollbeladen mit Verhafteten zurückzukehren. Polizeipräsident Weyer wurde durch den DNVP nahen Niederhoff ersetzt, der bis 1937 im Amt bleiben sollte. Niederhoff wurde 1938 schließlich durch den SA Oberführer Lucian Wysocki ersetzt.[14]

„Den Nationalsozialismus gab es in dieser Stadt [Oberhausen] eine Nummer kleiner. Das änderte sich während der zwölf Jahre dauernden braunen Herrschaft nur unmerklich. Die Nazis kamen hier nicht recht zu Potte. Wahnwitzige Auswüchse, die von anderen Orten bekannt wurden, kann ich aus eigener Erfahrung nicht bezeugen. Auf dem Höhepunkt der Jubelschreierei hatte Oberhausen äußerlich ein braunes Gesicht, aber etwas Schattenhaftes von der früheren Zentrumsmehrheit blinzelte mitunter, wahrnehmbar für Eingeweihte, hinter der NS-Fassade wie eine ideologische Hemmschwelle hervor. Gewiss war die Stadt keine Enklave und frei von Denunziation – auch hier wütete die Gestapo. Und lang ist die Liste derer, die ins KZ geworfen, von Sondergerichten zu Tode verurteilt oder zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie sich unbotmäßig verhielten und Widerstand leisteten.“

(Willi Schleip – Gegen den Backofen atmen; Seiten 105 und 106)

Die Quellenforschungen in der Heimatstadt meines Großvaters Richard Göbel waren über viele Jahre nicht leicht. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle Dr. Magnus Dellwig, neuer Leiter des Stadtarchivs in Oberhausen und André Wilger, Leitender Redakteur der Geschichtswerkstatt e.V. Oberhausen, ohne deren Hilfe ich diesen wichtigen Abschnitt der Autobiographie Richard Göbels hätte nicht weiter erforschen können.

[1] Magnus Dellwig, Peter Langer; Oberhausen eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet; Band 3; Seite 145

[2] Wilfried Böhnke; Die NSDAP im Ruhrgebiet 1920 – 1933; Seite 121

[3] Karl Ohlgart (geb. 17. April 1896 in Osterfeld). Nach Besuch der evangelischen Volksschule kaufm. Lehrling bei der GHH, zuletzt Magazinverwalter. Kriegsteilnehmer an der Westfront von 1915 bis 1918. Eintritt in die NSDAP Mitte 1924, Mitgründer der NSDAP Ortsgruppe Osterfeld. Ab März 1933 Stadtverordneter der Stadt Oberhausen. Von Januar 1933 bis April 1934 Ortsgruppenleiter der NSDAP Ortsgruppe Osterfeld. Sturmführer des SA-Sturmes II/159, ab Nov. 1935 Obersturmbannführer und Führer des Sturmbanns I/144 (Sterkrade). Wohnhaft 1938 Lilienthalstr. 25, Osterfeld

[4] Stadtarchiv Oberhausen; Zeitungsausschnittsammlung NSDAP Parteiarbeit

[5] Dieter Kusenberg, Osterfeld – eine Heimatgeschichte; Seite 64

[6] Wilfried Böhnke; Die NSDAP im Ruhrgebiet 1920 – 1933; Seite 193

[7] Dieter Kusenberg, Osterfeld – eine Heimatgeschichte; Seite 65

[8] Rossaint/Zimmermann; Widerstand gegen den Nazimus in Oberhausen; Seite 10

[9] zitiert in Ulrich Herbert; Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert; Seite 297

[10] Ulrich Herbert; Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert; Seiten 294 und 295

[11] Elke Fröhlich, Die Tagebücher von Joseph Goebbels; IfZ; Teil 1, Band II; Seite 103

[12a] Rossaint/Zimmermann; Widerstand gegen den Nazimus in Oberhausen; Seite 26 und Clemens Heinrich; Eine keine reine Stadtgesellschaft; Oberhausen im Nationalsozialismus 1933 bis 1945; Seite 117; siehe Gedenktafel

[12b] Wilhelm Stiegler, geb. 1892 starb am 3. April 1945 bei einem Bombenangriff. Auch im April 1943 bei der Besetzung der Luftkriegsopfer vom Osterangriff

[13] Clemens Heinrich; Eine keine reine Stadtgesellschaft; Oberhausen im Nationalsozialismus 1933 bis 1945; Seite 29

[14] Clemens Heinrich; Eine keine reine Stadtgesellschaft; Oberhausen im Nationalsozialismus 1933 bis 1945; Seite 178



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