Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Überwachung durch den Staat

Richard Göbel muss klar gewesen sein, dass er beim geringsten Anschein staatspolitischer Unzuverlässigkeit oder unbedachten öffentlichen Äußerung mit politischer Schutzhaft und Konzentrationslager bedroht war.

Ein Volksgenosse steht unter Beobachtung

„Der Wert jedes Menschen, seine Fähigkeit, sein Rang werden unerheblich: Nur die rechte Gesinnung wird ihm angerechnet. Läßt er es an ihr fehlen, ist er für die Verdammnis reif.“

(Ernst Niekisch; Das Reich der niederen Dämonen)

Richard Göbel war seit seiner Haft in Düsseldorf-Derendorf der Überwachung durch die Gestapo Düsseldorf ausgeliefert. Seine Gestapoakten sind im NRW Landesarchiv in Düsseldorf teilweise erhalten, enden „leider“ mit der Heirat im Jahr 1942 und seiner zivilien Ummeldung in die Porta-Westfalica. Zuständig war ab dann die Gestapo Bielefeld, deren Archiv den Krieg nicht überdauert hat. Die Einträge 1942 bis 1945 sind deshalb vernichtet.

Nachdem Richard vom Studium an allen Hochschulen relegiert war, ging er nach Wuppertal und Berlin. Nachweislich stand er dort mit damals führenden Theologen der Bekennenden Kirche (Albertz, Osterloh, Jannasch, Schlingensiepen, van Randenborgh) in Verbindung und nutze inoffiziell die Räumlichkeiten der schon illegalen Theologischen Hochschulen in beiden Städten. In Berlin wurde er im Gestapohauptamt vernommen. Berlin stand in regem telegraphischen Kontakt mit Düsseldorf.

So schrieb die Stapo Düsseldorf am 8. Januar 1940 via Telegramm nach Düsseldorf:

Gestapo hat bei Oswald (sic!) nachgefragt. Oswald sagte, dass Göbel hier in Berlin Studien betrieben hätte. Wo G. diese Studien betrieben hat, konnte Oswald nicht sagen. Es wäre wünschenswert, G. über seine Studien in Berlin zu vernehmen. Evtl. hat er hier einen der verbotenen BK-Kurse besucht. Göbel war hier in Berlin nicht gemeldet. Früher hat er einmal den Kindern Oswald Klavierstunden gegeben, daher die Bekanntschaft. Falls Göbel hier einen BK-Kursus besucht hat, bitte ich um Mitteilung (Stapoleitstelle Berlin Abt C. 1. –4877/39 (SB Ruehmann)

Hinter dem harmlosen Kürzel C.1. verbarg sich die IV C 1 (Weltanschauliche Gegner, A-Kartei). Hier wurden bereits Namen für spätere Verhaftungen und Schutzhaftunterbringungen in Konzentrationslagern erfaßt.

Richard Göbel 1940

richard-goebel-1940

In Berlin wohnte Richard zur Untermiete bei der Familie Oswalt. Der jüngste Sohn der Familie, Wolfgang, erinnerte sich später: „Ihr Großvater war immer nur ein paar Wochen bei uns. Erst nach dem Krieg wußte ich warum. Die Gestapo war gut informiert. Es war ja grundsätzlich nicht verboten Studenten als Untermieter aufzunehmen, aber der Bezug zur BK [Bekennende Kirche] war gefährlich. Eines Tages standen zwei Gestapo-Beamte in Zivil vor unserer Tür. Sie fragten meine Schwester Lotti, ob ein Richard Göbel hier wohnen würde. Sie verneinte. Sie hat vor Angst geschlottert. Richard hat immer in meinem Zimmer gewohnt, wenn er bei uns untergekommen ist.“

Stapo Düsseldorf

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Auch nach dem Einzug zur Wehrmacht/Luftwaffe im Frühjahr 1940 wurde Richards Post weiter kontrolliert. Auffallend ist, dass die Gestapo aber mit den von Richard verwendeten Feldpostnummern und Flakeinsätzen, etwa sechs Monate in Verzug war. D.h. die Wehrmacht war in den ersten Kriegsjahren eine recht abgeschirmte Welt für die Gestapo, zumindest im Falle meines Großvaters.



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