Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Persönlicher Antrieb

"Das Einzige, was Menschen Ewigkeit verleiht, ist nicht die Geschichte, sondern eine Geschichte, die man erzählt.“ Aus dem Gilgamesch Epos.

Persönlicher Antrieb

Anfang 2003 habe ich begonnen das Leben meines am 27. April 1945 in den Endkämpfen um Berlin gefallenen Grossvaters Richard Göbel zu rekonstruieren. Als Quelle dienten zunächst etwa 70 Briefe und Feldpostbriefe, die Richard Göbel an seine Eltern geschrieben hat und die bis heute erhalten sind.

Richard Göbel wurde am 26.4.1913 in Oberhausen/Ruhrgebiet geboren. Nach dem Abitur und Reichsarbeitsdienst (RAD) entschied er sich 1934 für ein Studium der evangelischen Theologie. Es folgten Immatrikulationen an den Universitäten in Münster, Bethel und Marburg. Ab 1936 Engagement in der Bekennenden Kirche (BK) und einschlägige Studentenarbeit. 1936 Verweis der Universität Münster wegen des Besuches von Ersatzveranstaltungen der BK. 1938 Verhaftung wegen regimekritischer Äusserungen und Verbot an einer staatlichen Hochschule weiter zu studieren. Haft in Düsseldorf- Derendorf. Ab 1940 Studium an der (bereits illegalen) Kirchlichen Hochschule in Berlin. Kontakte zu Martin Albertz, Edo Osterloh, Pfarrer Dr. Jannasch und anderen. Überwachung durch die Gestapo; Verhör im Gestapo Hauptamt im März 1940 in Berlin. Parallel Anstellung als Hauslehrer bei Berliner Familien, die der BK in Berlin-Dahlem nahe standen. Namentlich und herausragend erwähnt die Familie Anny und Henry Oswalt.

Im Frühjahr 1940, kurz vor dem theologischen Examen, Einzug zur Luftwaffe/Flak. Bis 1941 in Bremen, danach von 1942 bis März 1944 bei der Flak in Nürnberg (6./634). Unteroffizier und LwH-Betreuer. Ab März 1944 kurzzeitig in Bayreuth (6217 z.b.V.) und anschliessend Verlegung mit einem „Sonderstab Banse“ nach Ostpreußen (Tilsit/Kowno) und Pommern (Usch/Schneidemühl). Oktober 1944 Rückkehr vom Sonderstab und Einsatz in Brüx/Sudetenland. Dienst bei der Flak zum Schutz des großen Hydrierwerks in Brüx/Maltheuern. Januar 1945 Marschbefehl Richtung Fallingbostel/Celle und Versetzung zur Festungs-PAK Ausb.-und Ersatz Einheit 101 „Spernat“. Von dort im Februar 1945 Verlegung nach Berlin. Vermutlich in den Bereich Britz/Buckow. Letzte offene Anschrift bzw. Feldpostnummer (FPN): Heereswaffenmeisterschule Berlin-Treptow

Vermutlich Einsatz in Buckow und ab 24. April 1945 Tempelhof. Gefallen wahrscheinlich am 27. April ganz in der Nähe des Geschützturmes/Zoo-Bunker/G-Turm im Berliner Zoo. 1946 identifiziert aus einem Massengrab, nicht anhand seiner Erkennungsmarke, sondern durch seine Taschenbibel.

Mein Grossvater war kurz vor seinem Tod gerade 32 Jahre alt geworden. Er war jünger, als ich es heute bin. Nur sehr glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass meine Familie seine sterblichen Überreste 1946 noch erhalten hat und auf das Familiengrab überführen konnte. Richard Göbel musste völlig unnötig für ein Wertesystem sterben, das nicht seiner Grundüberzeugung entsprach.

Sein Schicksal ist im Verhältnis zu den 55 Millionen Opfern des 2. Weltkrieges objektiv vernachlässigbar, subjektiv ist es der Verlust eines Menschen, den ich persönlich nie kennen lernen durfte. Die Recherchen haben mir gezeigt, dass sein Tod einen grossen Verlust für unsere Familie darstellt.



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