Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Kämpfe um den Zoo-Bunker

In der Nacht vom 25. auf den 26. April ging über Berlin ein schweres Gewitter nieder. Der starke Regen löschte die schon überall lodernden Brände. Zwar waren einige Feuer damit gelöscht, der Brandgeruch über der Stadt wurde dadurch aber noch schlimmer. Es war das erste Frühlingsgewitter.

Der Zoo-Bunker ist überfüllt. Panzervernichtungstrupps werden spontan gebildet

„(…) Du schreibst von [der Buchhandlung] Amelang. Ich kenne die Buchhandlung zwar nicht, aber am Zoo steht fast gar nichts mehr. Nur ausgebrannte Mauern. Die Buchhandlung ist sicher auch weg.“

(Leutnant Fritz Troetsch am 26.11.1944 in einem Brief)

Das Gebiet in und um den Berliner Zoo und dem Tiergarten sollte einer der letzten zentralen Kampfgebiete des untergehenden Dritten Reichs werden. Das Gebiet des Zoologischen Gartens erstreckte sich 1945 auf einer Fläche von ca. 280.000 qm im Berliner Zentrum. Westlich begrenzt durch den S-Bahnhof Zoologischer Garten, südlich durch die Budapester Strasse vom Breitscheidplatz mit der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche bis zur Corneliusbrücke, nördlich durch den Landwehrkanal und den Tiergarten. In welchem Zustand befand sich der Zoo kurz bevor die Endkämpfe ihn erreichten? Durch die Bombenangriffe war der ehemals weltberühmte Zoologische Garten mit seinen ausgedehnten Anlagen schwer beschädigt worden. Die meisten Tiere waren beim verheerenden Angriff im November 1943 umgekommen.

Hans Mellin, ein Arzt, wahrscheinlich ortsfremd und zufällig im grossen Zoo-Bunker gelandet, schreibt: „Der Bunker war ein fünfstückiges Gebäude mitten in der Berliner Innenstadt neben einem Fernbahnhof [Zoologischer Garten], gebaut, um 2.500 Menschen aufzunehmen. Als ich am 21. April mittags dorthin kam, um den Dienst in der Sanitätshalle zu übernehmen, waren sämtliche fünf Stockwerke bereits überfüllt mit Menschen, die Zuflucht vor dem dauernd zunehmenden Artilleriebeschuß suchten. (…) Wir versuchten eine gewisse Ordnung in das Durcheinander zu bringen. (…) Es gelang mir am ersten Tage, eine Verbindung mit einem Lazarett im Shell-Haus aufzunehmen, das mir wenigstens die schwerverletzten Soldaten, die operativer Hilfe Bedurften, abnehmen wollte. Für den Transport standen zwei Kraftwagen zur Verfügung. Das nächste Problem war: Die etwa 8.000 Menschen, die sich in dem Bunker versammelt hatten, verpflegen. Eine Bunkerleitung existierte zu der Zeit schon nicht mehr. Der Reichsbahnbeamte, der diesen Posten eigentlich innehatte, war spurlos verschwunden. An seiner Stelle sprang ein Reichsbahninspektor in die Bresche, dessen Energie und Erfindungsgabe wir in den nächsten zehn Tagen noch viel zu verdanken hatten. (…) Die Wehrmacht trat zunächst wenig in Erscheinung. Ein Luftwaffenmajor, der den Auftrag hatte, in dem Bunker eine Versprengtenstelle aufzustellen, half uns, so gut es möglich war. Die ersten zwei bis drei Tage [also bis 23./24. April] gingen einigermaßen geordnet. Es bestand noch eine Verbindung mit der Außenwelt, der Abtransport der Verwundeten zum Shell-Haus klappte einigermaßen. Trotzdem füllten sich unsere Lazaretträume weiter, da der Zustrom an Verwundeten viel größer war als der Abgang. Am Dritten Tag [24. April] begann das Chaos.“ [1]

[1]Hans Mellin in Peter Kruse; Bomben, Trümmer, Lucky Strikes – Die Stunde Null in bisher unbekannten Manuskripten; Seiten 22/23

Das 28. Gardeschützenkorps  aus Tschuikows 8. Gardearmee arbeitete sich über die Corneliusbrücke Richtung Innenstadt vor. Tschuikow: “Der Kommandeur des 28. Gardeschützenkorps, General Ryshow, meldete mir, daß sich eine gegnerische Gruppe in einem Eckhaus hinter dem Heinrich-von-Kleist Park verschanzt habe.(…) Offenbar handelte es sich um Fanatiker. (…) Sie hielten die Straße unter Feuer und schossen auf jeden, der den Fahrdamm überqueren wollte. Soldaten dieser Einheit überwanden Panzersperren an der Corneliusbrücke und nähern sich dem Zoo.“

Aus Tschuikow – Gardisten auf dem Weg nach Berlin; Seiten 447 und 448

Corneliusbrücke über den Landwehrkanal

corneliusbruecke

Der 27. April 1945 brach an. Die von Tschuikow erwähnte Kleiststraße (Verlängerung Tauentzienstraße) verläuft zwischen Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche und Nollendorfplatz, also in unmittelbarer Nähe des Aquariums im Berliner Zoo an der Budapesterstraße. Bis zum Flak-Bunker sind es von hier aus nur noch wenige hundert Meter. Die Einheiten des 28. Gardeschützenkorps von General Ryshow sind in der infanteristischen Vorwärtsbewegung Richtung Zoo.

Einen ehemaligen Luftwaffenhelfer aus Brüx hat es über völlig andere Wege ebenfalls in die Endkämpfe der Reichshauptstadt verschlagen. Inzwischen war er Angehöriger der Kampfgruppe Bendlerblock. Er schrieb mir zum 27. April: “Ich war als Späher eingesetzt um zu schauen ob die Russen schon am Landwehrkanal sind. Als auf mich scharf geschossen wurde, wußte ich, dass sie bereits da sind.“ Weiter berichtet er über den Zoobunker:“Jeder von uns wußte: Im Zoo und am Bahnhof Zoo wurde schwer gekämpft. Das war für uns deutlich zu hören.“

Im großen Zoo-Bunker tat Hans Mellin weiter seine ärztliche Pflicht und schreibt: „In einer kurzen Arbeitspause sitze ich in der Vorhalle des Bunkers. Die große Tür, die den Raum früher nach außen abschloß, ist längst zu Bruch gegangen. Vor mir liegt die brennende Stadt, ich sitze auf einer Kiste und rauche eine Zigarette. In einer Ecke hinter mir liegen die Toten des heutigen Tages, einer neben dem anderen. Es ist unmöglich, sie irgendwie zu bestatten. Draußen leigt alles unter schwerstem Artilleriefeuer. Alle paar Minuten setzt die Stalinorgel ihre Salven immer in unsere Gegend. Wir können nur nachts, wenn das Feuer etwas nachläßt, die Toten in den nächsten Bombentrichter legen, etwas Chlorkalk drüber – aus!“[1]

[1]Hans Mellin in Peter Kruse; Bomben, Trümmer, Lucky Strikes – Die Stunde Null in bisher unbekannten Manuskripten; Seite 25

Doch der Zoo-Bunker ist für Tschuikows Einheiten nur eine Zwischenstation. Der ehemalige Luftwaffenhelfer aus Brüx: “Dauerndes Störfeuer der Russen von der anderen Seite des Landwehrkanals. Gefürchtet waren auch die 17,2 und die Granatwerfer. Man hörte sie nicht und sie hinterließen entsetzliche Splitterwunden. Es war aber lebensgefährlich sich zu verdrücken.“ Auch die Gefahr nur Wasser zu holen beschreibt er: “Ich war an der Reihe Wasser für uns zu holen. In ca. 200 Meter Entfernung gab es im Tiergarten eine Handpumpe. Da haben wir das Wasser in Kanistern geholt. Der Tiergarten war ein höllisches System. Zerschossene LKWs, abgestürzte Flugzeuge, Kaputte Bäume. Um die Pumpe lag ein geschlossener Kreis von Toten. Man mußte drüber steigen, um an das Wasser zu kommen. Grauenhaft!“

Sterberegister Tiergarten

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Wie genau und wann der Unteroffizier Richard Göbel fiel ist nicht klar. Das Sterberegister des Bezirksamtes Tiergarten weist den 27. April 1945 aus. Sein Grab befand sich zunächst zu Füßen des grossen Flak-Bunkers.


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