Wie lange dauert ein Krieg eigentlich wirklich?


Der Sturm auf Berlin

Nach der Kapitulation Anfang Mai 1945 war Berlin das größte zusammenhängende Ruinengebiet Europas.Seit den ersten großen Flächenbombardements vom 22. bis 26. November 1943, hatte sich das Antlitz der Stadt monatlich rapide verändert. Die Zerstörung Berlins wurde insbesondere von den Sowjets als gerechte Strafe für die Verbrechen des Dritten Reiches gesehen.

Nach über 300 Luftangriffen bricht am 16. April 1945 der Orkan am Boden los!

Berlin hatte bei den alliierten Bomberbesatzungen den Codenamen „Big B“. Nach über 300 Luftangriffen bis März 1945, ca. 50.000t Brand-, Spreng-, Phosphor- und Splitterbomben glich Berlin einem einzigen Trümmerfeld. Fast eine Milliarde qm Schutt hatten sich aufgetürmt und zwischen 20.000 und 50.000 Berliner waren bei Luftangriffen ums Leben gekommen. Die Berliner verbrachten Nacht um Nacht in Luftschutzbunkern und Kellern. Der Schlafentzug führte zu einer Mixtur aus Sarkasmus und Hysterie. Viele Menschen erwarteten nicht nur den Zusammenbruch des Staates, sondern auch der persönlichen Existenz. Von der Goebbelschen Propaganda wurde dies durch die grausigen Berichte über die Massaker von Nemmersdorf im Herbst 1944 noch gefördert. Angst kann dabei leicht in Hass umschlagen. Die Bevölkerung war in Fanatiker und Kriegsmüde auseinandergefallen.

Während der letzten drei Kriegsmonate war das Leben der Berliner durch die permanenten Luftangriffe und die Furcht vor den an der Oder wartenden Sowjettruppen geprägt.

Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut

In der wir untergegangen sind

Gedenkt

Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht

Auch der finsteren Zeit

Der ihr entronnen seid.

…Gedenkt unserer

Mit Nachsicht

(Berthold Brecht – An die Nachgeborenen)

Die Rote Armee war nach dem Erreichen der Oder-Grenze im Januar 1945 in Wartestellung gegangen. Mit riesigem ideologischem Schulungsaufwand wurden die russischen Soldaten ideologisch auf die Einnahme Berlins vorzubereitet. Dazu musste der Feind groß aufgebaut werden, um den riesigen Aufmarsch und Einsatz an Mensch und Material zu rechtfertigen. Für das Geschichtsbuch musste ein Mythos geschaffen werden.

Das tägliche Leben war nur noch durch ständige Improvisation gekennzeichnet. Zwischen dem 1. Februar und dem 23. März flogen die Alliierten 83 Luftangriffe auf Berlin. Ausfälle von Licht, Heizung und Wasser waren an der Tagesordnung. Angesichts der psychischen und physischen Belastungen war die Widerstandsfähigkeit jedoch bemerkenswert. Trotz der Bedrohungen, der weitestgehenden Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur und der Aussicht auf eine mehr als ungewisse Zukunft war der Überlebenswille der meisten Bewohner sehr stark. Die Kriegsmüdigkeit war riesig. Der Glaube an Wunderwaffen und Endsieg bis auf bei einigen wenigen Unverbesserlichen nicht vorhanden. Die anglo-amerikanischen Luftangriffe wurden zur permanenten Bedrohung durch pausenlose Alarme, die den Menschen keine Pause mehr gönnten – auch wegen der immer geringer werdenden Luftabwehr durch Flak und Jagdflieger. Der Bombenhagel ging fast Tag und Nacht auf die Stadt nieder. Gas- und Wasserversorgung fielen von Bezirk zu Bezirk aus. Vor Hydranten und Pumpbrunnen bildeten sich lange Menschenschlangen mit Eimern. In immer unregelmäßigeren Abständen wurden Lebensmittel gegen Karten ausgegeben. Als Beweis für die Unterstützung der russischen Verbündeten flog die amerikanische Air Force auch am 3. Februar einen Tausendbomberangriff mit B-17 Flugzeugen. Es war der schwerste Luftangriff bis dato auf Berlin. In diesem Bomben Inferno verlor auch der gefürchtete Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, sein Leben. Der Volksgerichtshof brannte.

Russische Lafette/Stalinorgel

lafette

Am 12. April wurde das Stichwort „Clausewitz“ gegeben. Es war in der Nacht vom Befehlshaber des Verteidigungsbereiches Berlin auf Weisung des FHQ durchgegeben worden. „Fernschreiber hatten es aufgenommen, Telefonisten sprachen es weiter; die zu den obersten militärischen Dienststellen abgestellten Melder ließen die Kräder an und jagten mit versiegelter Order in halsbrecherischer Fahrt durch die zerstörte, dunkle Stadt. Von Minsterien und Wehrmachtsbehörden, von der Gauleitung der Partei und allen Hoheitsträgern verbreitete sich das Geheimwort über tausend Kanäle und Kanaälchen hinunter zu den Bataillonen und Kompanien, zu Ämtern und Ortgruppen. Versiegelte Briefe mit der Aufschrift „Geheime Kommandosache – Clausewitz“ wurden den Panzerschränken entnommen und hastig geöffnet. Überall erfuhr man schlagartig: Berlin wird verteidigungsbereit gemacht. Es kommt zum Kampf um die Stadt. Es wird nicht aufgegeben. Jedem stockte der Atem, als die neue Last sich niederstreckte. Man hatte gehofft, eine wendung erwartet, ohne daß sie eintrat, und weiter gehofft, Entsetzte und erschöpfte Flüchtlinge waren mit der bahn oder im Treck am rande der Stadt vorbei nach westen geleitet worden. Unzählige von ihnen erfroren dabei, kamen aus Schwäche um oder wurden ermordet. Die Russen waren nach Schlesien eingebrochen; Wehrmachtsberichte meldeten ihre entsetzenerregenden Untaten. Die Front an der Oder wankte. Man hörte das Grollen einer fortdauernden Kanonande und empfand das Beben der erde, wenn man das Ohr an sie legte (…). Anlässe, Sondermeldungsfanfaren schmettern zu lasssen, gab es nicht mehr. Das Stichwort „Clausewitz“ schlich sich durch die Hintertür ins Bewußtsein der Berliner. Mit unvorstellbarer Schnelle raunte sich die Geheimanweisung durch die ganze große Stadt von Mund zu Mund der fast drei Millionen Menschen, die noch in den Trümmern hausten.“[1]

[1]Ernst Günther Schenck; Das Notlazarett unter der Reichskanzlei; Seite 11

Wenige Tage später, am 16. April 1945 brach der Sturm der Roten Armee an der Oder los. In der Neuen Züricher Zeitung erschien am 18. April ein Bericht aus Berlin. Darin heißt es: „Bei den Übungen von Militär und Volkssturm, denen jeder Passant zusehen kann, gewinnt man den Eindruck von körperlicher Schwäche der Beteiligten. Es werden in Ruinen Häuserkämpfe und im Tiergarten Waldgefechte geübt. Die Männer sind oft weder uniformiert noch bewaffnet. Sie schleichen durch das Gelände und markieren das Maschinengewehrfeuer, indem sie mit Stöcken auf leere Blechbüchsen schlagen.“[2]

[2]Neue Züricher Zeitung vom 18. April 1945 zitiert in Hermann Glaser ; 1945 – Beginn einer Zukunft; Seite 43

An 20. April, dem Führergeburtstag, wurde Berlin – nach über 400 Bomberangriffen – zum letzten Mal aus der Luft bombardiert. Am Morgen des 21. April beobachteten Flak-Soldaten auf dem Zoo-Bunker, wie eine russische Artillerie-Batterie bei Marzahn, im Berliner Osten, in Stellung ging – die Rote Armee hatte bereits die Stadtgrenze erreicht. Das Wetter war prachtvoll, warme Regenschauer wechselten mit schimmernden Sonnenstrahlen ab. Der Nachmittag war vom blauen Himmel überflutet, überall kamen aus den Bäumen und Sträuchern die Knospen hervor. Von Marzahn sind es nur noch ca. 12 Kilometer bis ins Stadtzentrum. Die Kanoniere des Flak-Turms nahmen die Einheiten mit ihren 12,8 Flakgeschützen unter Beschuss, konnten die Stellungen aber nicht endgültig ausschalten.

Gemeinsames Gedenken

andenken

Der in Berlin lebende Psychologe Matthias Menzel ist am 22. April in der Gegend von Berlin-Lichterfelde unterwegs. Seine Gedanken schrieb er nieder: “Nun ist es gewiß: Berlin wird die Rote Armee sehen. Der große Krieg des 20. Jahrhunderts wird in Berlin sterben. Über ein Jahrzehnt und besonders in den ersten Jahren dieses Krieges war Berlin suggeriert worden, es sei und müsse noch mehr werden als das Zentrum eines Kontinents, das die Ideen dieses Jahrhunderts repräsentativ zu vertreten hat. […] Bis zum Teltowkanal sollen die Soldaten Stalins sein. Am späten Nachmittag fahre ich mit dem Rad nach Lichterfelde. Es wird eine Fahrt längs der Front. […] Die Straßen sind leergefegt von Passanten. Verwundete schleppen sich auf den Vorortstrassen dahin, den Kopf oder die Hand in Mull. An den Häusern entlang ziehen im Gefechtsabstand die Schützenketten der Soldaten: müde Gesichter, angespannte Mienen, die Maschinenpistole geschultert, schwer an den Handgranaten im Koppel tragend, mit dem gang der Wanderer ohne Ziel und Hoffnung. […] Nun schlurfen sie durch die Straßen Lichterfeldes zur Front, die tausend Schritte weiter vorne liegt. Morgen wird wahrscheinlich diese Straße schon im feindlichen Hinterland liegen. Der Abend kommt mit großer Ungewißheit, was in den Stunden der Nacht kommen mag. Er sinkt krachend, lärmend, im Getöse der fernen Schlacht, in eine Nacht, die der Regen durchpeitscht und kein Schlaf verkürzt.“[1]

[1]Matthias Menzel, Die Stadt ohne Tod. Berliner Tagebuch 1943-1945; Seiten 170/171



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